Mundtot nodrm
Survival-Tour gewählt hatte, lag an den landschaftlichen Gegebenheiten. Außerdem gab’s hier mit der Schwabstadlkaserne in Lagerlechfeld und dem Militärflugplatz einen Bundeswehrstandort, den er bestens kannte. Von hier aus waren es – einige Abweichungen von der direkten Route einkalkuliert – überschlägig knapp 200 Kilometer bis zum Hohenstaufen, seinem Ziel, das er, abseits jeglicher Zivilisation, erreichen wollte. Er würde deshalb nicht gradlinig durchs Gelände ziehen, sondern unzählige Haken schlagen. Der erste Tag stand ohnehin im Zeichen einer Dokumentation, die ein Fernsehteam drehen wollte. Diesem zuliebe entschied er sich, zuerst eine große Schleife durchs Gelände im Raum Landsberg zu gehen, um entsprechend dramatische Filmaufnahmen zu ermöglichen. »Ich werde Ortschaften meiden«, sprach er in die Kameras und drehte seine dicke Wollmütze in den Händen. »Ich werde zeigen, dass man alles kann, wenn man nur will. Ich habe keinerlei Hilfsmittel dabei«, versicherte er, während Mikrofone nach ihm gereckt wurden und einige Journalisten mit klammen Fingern Notizen machten. Auf dem Parkplatz, den er sich für seinen Start ausgesucht hatte, hatten sich nur wenige Neugierige versammelt. Eigentlich hatte er sich ein größeres Aufsehen vorgestellt. »Mein zehntägiges Experiment wird zeigen, dass wir Menschen alles erreichen, wenn wir es im Einklang mit der Natur tun. Und wenn wir den eisernen Willen haben.« Er verzog das Gesicht zu einem sympathischen Lächeln. Sein Atem verwandelte sich in der kalten Luft zu feinem Nebel. »Ich habe keinen Proviant dabei und keinerlei Hilfsmittel«, betonte er erneut, »kein Messer, kein Trinkgefäß, keine Lampe und natürlich kein Handy. Kein GPS und nicht mal einen Kompass. Nur eine Landkarte«, er angelte sie aus einer Hosentasche. »Es ist nur ein Ausschnitt und er ist in eine Folie eingeschweißt, damit das Papier nicht nass wird.« Er steckte die Landkarte wieder ein und hielt eine kleine Videokamera in die Höhe. »Das ist alles, was ich von der Zivilisation mitnehme – zur Dokumentation.« Neben ihm standen Boris Seifried, der in den folgenden Tagen seine Überstunden abbaute, und drei weitere junge Männer aus dem Nahkampf-Training. »Mein junger Freund Boris«, fuhr Konarek fort und deutete auf den schlaksigen jungen Mann, »wird zwei Mal täglich die festgelegten Pflichtmeldepunkte anfahren – sogenannte tote Briefkästen – und meine aufgebrauchten Kamera-Akkus, die ich dort ablege, mitnehmen und am nächsten Meldepunkt neue bereitlegen.« Er zog sich dicke Handschuhe an und sprach langsam weiter: »Sollte ich zwei Tage lang nichts abgelegt haben, muss mich Boris suchen.« Er grinste, wie dies in solchen Fällen nur ein verwegener Abenteurer tun konnte. »Dann wäre mir was zugestoßen.«
»Sie haben keine Angst – nachts allein im Wald, bei Minustemperaturen? Wo werden Sie denn schlafen?«, fragte die Praktikantin eines lokalen Radiosenders dazwischen.
»Ich werde mir mein Nachtlager bauen. Aus Holz, Laub und Moos.«
Ein älterer Journalist, der eine klobige Spiegelreflexkamera um den Hals hängen hatte, hakte ruhig und sachlich nach: »Wenn man so hört, was sich in den vergangenen Monaten im Dunstkreis von Herrn Bleibach getan hat, könnte doch – um es vorsichtig auszudrücken – auch die Sorge aufkommen, dass das Unternehmen nicht ganz ungefährlich ist.« Einige der Kollegen schauten ihn fragend an.
Konarek hingegen meisterte die Situation souverän: »Die Gefahr besteht immer, gar keine Frage.« Genauso hatte er sich die morgendliche Pressekonferenz vorgestellt. Ein bisschen Abenteuer, ein bisschen Spannung. Das würde das Medieninteresse schüren. »Gerade in den kalten Vollmondnächten, die jetzt bevorstehen, wird ein Mensch auch in den Wäldern als Schatten wahrgenommen.« Er sah in die Runde der etwa zehn Journalisten. »Es besteht immer die Gefahr, dass mich ein Jäger mit einer Wildsau verwechselt.«
Die Medienvertreter wussten nicht so recht, wie diese Bemerkung einzustufen war.
99
Boris war an diesem Abend mit Konareks Geländewagen zum ersten Meldepunkt gefahren – irgendwo an einem Waldrand bei Mickhausen. Dort hatten sie während der Planung in einem Heckenstreifen eine Metallkassette vergraben, in die er die ersten frischen Akkus legen sollte. Boris fand die Stelle sofort wieder. Im Notfall hätte er die notierten Koordinaten in das Navigationssystem eingeben können. Er parkte den Wagen und ließ die Scheinwerfer
Weitere Kostenlose Bücher