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Mundtot nodrm

Mundtot nodrm

Titel: Mundtot nodrm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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brennen, die auf das Gebüsch ausgerichtet waren. Als er ausstieg, umgab ihn absolute Stille. Er ging ein paar Schritte, schlüpfte gebückt in das kahle Gesträuch und entdeckte zielgenau jene Stelle, an der sie die Kassette unter aufgeschüttetem Erdreich und Laub versteckt hatten. Boris stutzte, weil es nicht mehr so aussah wie vor drei Tagen, als sie hier gewesen waren. Eigentlich sollte Lars erst morgen früh hier ankommen und die Akkus vorfinden, die für ihn gedacht waren. Boris wühlte mit den Handschuhen in dem Gemisch aus Erde und Laub und bekam den Griff der Kassette zu fassen. Er hob sie hoch, besah sie im Lichtkegel der Autoscheinwerfer und öffnete den unversperrten Deckel. Im Inneren lag ein ziemlich zerknitterter Zettel, auf den er mit dem dort deponierten Bleistift ein paar wenige Worte gekritzelt hatte: ›Ich bin schon weiter, als du denkst. Muss noch dringend was erledigen. Zeitplan könnte kippen.‹
    Boris las die Nachricht noch ein zweites Mal. Hatte Lars innerhalb eines einzigen Tages schon eine so weite Strecke zurückgelegt? Und was bedeutete dies? Wie sollten dann die Meldepunkte noch funktionieren? Boris las den Text noch einmal, legte den Zettel wie in Trance zurück in die Kassette, klappte den Deckel zu und nahm sie mit zum Auto. Als er wieder hinterm Fahrersitz saß, verriegelte er die Türen von innen und grübelte weiter, was dies bedeutete. Alles hatten sie im Vorfeld durchgespielt – nur nicht, was zu tun wäre, wenn tatsächlich der Zeitplan durcheinanderkäme. Wenn nun alles anders war, musste er die einzelnen Pflichtmeldepunkte mehrmals anfahren, dachte Boris. Denn der nächste wäre eigentlich für den morgigen Abend gedacht gewesen. Nun würde Lars dort schon morgens ankommen – falls sich der Zeitplan nun etappenweise verschob. Und was bedeutete es, dass Lars noch etwas Dringendes zu erledigen hatte? Wollte er gar ab- oder unterbrechen? Boris unterdrückte einen Fluch.
     
    Bleibach war am frühen Abend nach Schwäbisch Hall gefahren. Dass er sich in diesen knapp eineinhalb Wochen vor seinem ›großen Tag‹ noch so viele Veranstaltungen zugemutet hatte, ärgerte ihn. Aber es war ja nicht vorhersehbar gewesen, dass er mehr gestresst als erholt aus Australien zurückkehren würde. Auch die Hagenbuchhalle in Schwäbisch Hall schien aus allen Nähten zu platzen. Beim Anblick der vielen jungen Menschen beschloss er spontan, ihnen ein paar besondere Gedanken mit auf den Weg zu geben. Mittlerweile konnte er problemlos ganz neue Abschnitte in seine Rede aufnehmen, ohne sich dafür ein Konzept vorzubereiten. Dies wirkte ohnehin leidenschaftlicher und war dazu angetan, Emotionen zu schüren.
     
    »Liebe Freunde, es freut mich jeden Abend, wenn ich viele junge Leute bei mir sehe. Ihr seid es, die die Welt von morgen gestalten. Ihr seid es, die unser Erbe übernehmen. Was wir und unsere Väter zerstören, was wir an Ressourcen vervespern, damit müsst ihr zurechtkommen. Wir müssen bedenken, dass die Welt nicht natur-, oder sagen wir besser gottgegeben so ist, wie sie ist. Nein, liebe Freunde, jede Generation hat sie in dem Zustand übernommen, wie sie die Vorgänger hinterlassen haben. Unsere Väter oder Großväter haben damals, in den späten 40er-Jahren, eine in Trümmern liegende Welt übernommen. Und wir waren bisher in der glücklichen Lage, in einer langen Phase des Friedens zu leben. Wann hat es das jemals gegeben? Eine so lange Zeitspanne ohne Krieg? Dafür sollten wir dankbar sein – und alles dazu beitragen, diesen Frieden zu erhalten. Wenn jedoch soziale Verwerfungen entstehen, wenn nur das Wirtschaftliche im Vordergrund steht und nicht mehr das Menschliche, wenn die Sorgen und Nöte der Menschen kein Gehör mehr finden, dann habe ich große Sorge, dass sich ein Wandel vollziehen könnte. Und zum Menschlichen gehört auch, dass wir unsere Kinder verantwortungsbewusst erziehen – und zwar in den Familien und nicht in den Aufbewahrungsstationen, in denen man bereits Kleinstkinder tagsüber abgeben kann, weil Vater und Mutter arbeiten müssen. Welcher Irrsinn, liebe Freunde, wenn wir jetzt landauf, landab teure Baby-Aufbewahrungsstationen bauen, anstatt diese Abermillionen Euro den Frauen direkt zukommen zu lassen, damit sie zu Hause bleiben und ihre Kinder in einer geborgenen, menschlichen Atmosphäre betreuen können. Denn was so ein kleines Gehirn mit ein, zwei, drei Jahren aufnimmt, ist entscheidend für die weitere Entwicklung. In diesen Köpfen, liebe Freunde,

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