Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
konnte. Hatte sie Niall als selbstsicheren, charmanten Mann kennengelernt, der eine berufstätige Frau wie sie wertschätzte, entpuppte er sich im Kreis seiner Familie als eifersüchtiger Patriarch, der ihr ständig zu verstehen gab, sie solle den Mund halten. Lili erschauderte bei der Vorstellung, dass er womöglich erst hier in den Highlands seinen wahren Charakter zeigte. Und zwar, nachdem er sie erfolgreich davon überzeugt hatte, ihm blind zu folgen. Glaubte er, sie könne nun keinen Rückzieher mehr machen? Da irrt er sich, dachte sie entschlossen. Ich kann mich morgen in den Zug setzen und in meine Welt zurückkehren. Miss Macdonald wird mich mit offenen Armen empfangen.
Eine tiefe Traurigkeit ergriff plötzlich Besitz von ihr. Daran änderte auch nichts, dass Niall nach ihrer Hand griff und sie zärtlich streichelte. Im Gegenteil, der Hochzeitstermin und die nahende Verlobungsfeier ängstigten sie in diesem Augenblick viel mehr, als dass sie sich freuen konnte. Noch war sie frei, noch konnte sie ihre Koffer packen und nach Edinburgh zurückfahren.
»Auf die vor Glück strahlende Braut!«, rief Shona und hob ihr Glas, das sie in einem Zug hinunterstürzte. »Eine hervorragende Idee, unseren Freunden an Hogmanay mitzuteilen, dass wir ein neues Familienmitglied haben. Sie muss unbedingt in die feine Gesellschaft eingeführt werden.« Der Spott in ihrer Stimme war unüberhörbar.
Lili aber versuchte krampfhaft, sich ein glückliches Lächeln abzuringen.
»Ja, auf euch!«, ergänzte Craig und prostete Lili und Niall zu.
»Und was sagst du eigentlich zu deiner neuen Mutter, Isobel?«, fragte Shona mit leicht verwaschener Stimme. Ihre Nichte aber funkelte sie nur wütend an. Lili ahnte, welch enorme Überwindung es Isobel kosten musste, nicht in alle Welt hinauszuschreien, dass sie ihre ehemalige Lieblingslehrerin dafür hasste.
»Ich kann niemals ihre Mutter ersetzen oder ihr eine neue Mutter sein«, erklärte Lili bestimmt. »Aber ich werde weiterhin versuchen, ihr eine gute Freundin zu sein.«
Das brachte ihr zumindest einen nicht mehr ganz so finsteren Blick des Mädchens ein.
»Sie vertreten aber merkwürdige Ansichten, Miss Campbell«, zischte Shona. »Als Lehrerin haben Sie die Aufgabe, Kinder zu erziehen und sich nicht bei ihnen einzuschmeicheln. Mittlerweile verstehe ich, wo Isobel sich diese trotzige Haltung erworben hat.«
Lili schwieg, doch sie warf Niall einen fordernden Seitenblick zu. Nun war es an ihm, sie zu verteidigen. Schließlich hatte seine Schwägerin sie soeben vor allen anderen bösartig beleidigt. Und das ließ sich auch nicht damit entschuldigen, dass die Dame offenbar zu tief ins Glas geschaut hatte.
Niall aber blickte nur stur geradeaus und wandte sich an seinen Bruder, als wäre nichts geschehen. »Was ich noch sagen wollte, Craig, würdet ihr wohl das Zimmer mit Lili tauschen, bis wir nach Scatwell abreisen?«
»Ja, ja, gern, ich hätte wirklich lieber ein größeres«, erwiderte Shona eifrig.
»Nein, wir bleiben!«, widersprach Craig mit Nachdruck.
»Aber Liebling, wir sind zu zweit, und sie ist allein …«
»Es ist Caitlins Zimmer«, flüsterte Craig Shona ins Ohr. Dennoch waren seine Worte am ganzen Tisch zu verstehen.
Seine Frau starrte ihn entgeistert an und wandte sich aufgeregt an ihren Schwager. »Nein, mir fällt gerade ein, ich habe ja meine Kleider bereits aufgehängt. Wir bleiben in unserem Zimmer.«
»Bevor du noch Großmutter Mhairie aus ihrem Bett wirfst, gib mir Caitlins Zimmer. Es wird Zeit, dass es wieder benutzt wird. Ich überlasse Lili das meine. Zudem liegt es gleich nebenan, und wir müssen die Koffer nicht hin und her tragen lassen. Außerdem habe ich noch gar nicht ausgepackt«, mischte sich Dusten ein, der das Gespräch stumm verfolgt hatte und dessen wütender Blick Bände sprach.
»Danke«, entgegnete Niall schroff. Viel zu schroff für Lilis Geschmack. Schließlich hatte Dusten ihr sofort seine Hilfe angeboten, während die anderen nur an ihren eigenen Vorteil dachten – oder sich vor dem Zimmer der Toten grausten.
Keiner von ihnen hatte während dieses Geplänkels auf Isobel geachtet. Umso entsetzter waren alle, als sie schluchzend aufsprang und hinausrannte.
»Ich werde ihr Benehmen beibringen«, zischte Niall wütend, doch da hatte sich Dusten bereits erhoben. »Lass mich gehen. Du bist viel zu aufgebracht«, erklärte er mit Bestimmtheit und folgte Isobel.
»Niall, es kann doch nicht angehen, dass sie jedes Mal Heulkrämpfe
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