Munroys & Makenzies Bd. 1 - Der Ruf der Highlands
wahr?« Mhairie musste sich ein Schmunzeln verkneifen. Wie oft hatte sie sich als Kind vor dem Kirchgang gedrückt, indem sie allerlei Ausreden erfunden hatte. Bauchweh hatte stets an oberster Stelle gestanden.
»Gut, dann müssen wir noch ein wenig warten, aber …«, bemerkte Mhairie lächelnd und wollte das Kind gerade dazu anstiften, schon einmal einen Blick in die Strümpfe zu werfen, als lautes Gerede auf dem Flur hörbar wurde. Mhairie verstummte.
Shonas schrille Stimme würde sie unter Hunderten erkennen. Mhairie hatte nie verstanden, wie Craig diese hinterhältige Person hatte heiraten können. Nur weil ihr Vater ein Baronet gewesen war? Was die Wahl ihrer Ehefrauen anging, unterschieden sich die Brüder grundlegend. Aber auch sonst …, fügte Mhairie in Gedanken hinzu, und ihr wurde schwer ums Herz, als sie daran dachte, wie sehr sich Niall seit Caitlins Tod verändert hatte. Als Kind hatte er ihr einmal sehr nahegestanden. Fast so wie Dusten, der immer schon ihr erklärter Lieblingsenkel gewesen war. Von Anfang an hatte sie das kleine Schlitzohr ins Herz geschlossen. Schließlich hatte sie Dusten nach dem frühen Tod seines Vaters wie ein eigenes Kind aufgezogen. Ihm fehlte zwar manchmal der nötige Ehrgeiz, aber er war einfach immer schon ein herzensguter Sonnenschein, ein Charmeur und Alleskönner gewesen.
»Guten Abend, Großmutter. Ich bin es, Craig«, hörte sie nun ihren dritten Enkel so laut an ihrem Ohr brüllen, als sei sie taub. Dabei war mit ihrem Gehör noch alles in Ordnung. Sie hasste es, wie ein seniles altes Weib behandelt zu werden! Sie musste sich zusammenreißen, um ihn nicht lautstark zurechtzuweisen. Stattdessen knurrte sie: »Ich bin nicht taub, mein Junge. Frohe Weihnachten, Craig.«
»Du weißt doch, dass Shona und ich diesem ganzen Weihnachtsbrimborium skeptisch gegenüberstehen. Wir wünschen einander keine fröhlichen Weihnachten. Guten Abend, Großmutter.«
»Guten Abend«, gab Mhairie kühl zurück und fragte sich, wie es angehen konnte, dass dieser Junge immer rechthaberischer wurde. Er hatte bereits als Kind alles besser gewusst. Er kam ganz nach Angus. Aber nur vom Wesen her. Vielleicht war er deshalb dessen Lieblingsenkel gewesen, während er Niall immer nur mit überhöhten Leistungsansprüchen gefordert hatte, obwohl Niall sein Ebenbild war. Aber so war er schon bei ihren gemeinsamen Söhnen gewesen. Douglas hatte Angus mit Liebe überschüttet, Brian nur schroff befehligt. Gut, das hatte einen anderen Grund gehabt, war für sie als Mutter der Kinder aber ebenso unerträglich gewesen.
Mhairie war nun schon so alt, aber immer noch wurden ihr die Augen feucht, wenn sie an jene schreckliche Zeit in ihrem Leben dachte.
»Großmutter Mhairie, willst du mich denn nicht begrüßen?« Shonas durchdringende Stimme erklang unangenehm an ihrem Ohr. Mhairie schreckte aus ihren Gedanken auf. Dieses Abdriften in eine andere Welt, ganz gleich, wo sie sich befand, war wirklich eine Folge des Alterns. Mhairie aber hielt das für keine Unart oder Schwäche, sondern für eine Freiheit, die sie sich als Dreiundachtzigjährige mit gutem Gewissen herausnehmen durfte.
»Ich bin nicht schwerhörig«, brummte sie. »Warum müsst ihr mir immerzu ins Ohr brüllen?«
»Was soll ich denn machen, wenn du wie betäubt zum Weihnachtsbaum stierst und nicht hörst, wenn man dich leise begrüßt?«, erwiderte Shona eingeschnappt.
Mhairie aber starrte an ihr vorbei zur Tür. So als sehe sie ein Gespenst.
»Guten Abend, Großmutter«, sagte Niall, trat auf sie zu und gab ihr einen Kuss auf die Wange, doch sie reagierte nicht, sondern ließ die junge Frau nicht aus den Augen, die neben ihm das Esszimmer betreten hatte. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie wäre felsenfest überzeugt gewesen, dass sich da gerade die junge Caitlin näherte und ihr schüchtern die Hand reichte.
»Guten Abend, Lady Mhairie.«
Auch die Stimme war der von Caitlin recht ähnlich.
»Darf ich dir meine Verlobte vorstellen? Lili Campbell aus Edinburgh«, erklärte Niall hastig.
»Herzlich willkommen, Miss Campbell«, erwiderte Mhairie, während sie Lili immer noch ungläubig musterte. Bei näherem Hinsehen erkannte sie deutlich gewisse Unterschiede zwischen Caitlin und der jungen Frau, vor allem war diese Lili mindestens zehn Jahre jünger, als Caitlin am Ende ihres Lebens gewesen war. Die Ähnlichkeit war trotzdem geradezu gespenstisch.
Sie wandte den Blick auch dann nicht von der Fremden ab, als Dusten
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