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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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meine gelegt hatte, wie ihr Blick so schwerelos
und beharrlich auf mir geruht hatte wie ein Blütenblatt auf einer Wasserfläche.
    Die
Taxifahrt dauerte fast eine Stunde, in der keiner ein Wort sagte. Sie hatte den
Kopf ans Fenster gelehnt, und die dunkle Stadt huschte durch ihr Spiegelbild.
Als wir uns Bonetown näherten, schien sie munterer zu werden. Sie setzte sich
auf, schaute sich um und registrierte die Umgebung mit einem leichten Nicken,
als ob ihr der Anblick der trostlosen Wohnblocks und ramponierten Straßen eine
diffuse, in ihrem Kopf herumspukende Frage beantwortete.
    Ich wies
den Fahrer an, vor Franks Haus zu halten. Ohne ein Wort stieg sie aus und
wartete auf dem Gehweg, bis ich bezahlt hatte. Sie zitterte vor Kälte in ihrem
Ballkleid. Vom Ende der Straße war das kurz darauf verstummende Klappern eines
Einkaufswagens zu hören - als hätte sich ein Tier in die Büsche geschlagen.
    Frank war
noch in Amaurot, von Droyd keine Spur. Dichter Rauch und ein chemischer Geruch
hingen in der Luft. Ich zündete die Laterne an, und weil mir nichts Besseres
einfiel, fragte ich sie, ob sie etwas zu trinken wolle. Als ich mit zwei
Gläsern und einer Flasche bulgarischem Cabernet wieder aus der Küche kam, ging
sie gerade langsam im hinteren Teil des Zimmers herum und betrachtete die
Schrottkollektion, welche bei der spärlichen Beleuchtung jämmerlicher denn je
wirkte. »Was ist das für ein Zeug?«
    »Gehört
alles Frank. Das ist sein Beruf. Er holt das Zeug aus alten Häusern raus und
verkauft es dann an Händler, Dekorateure und so.«
    »Mmmhmm.«
Sie hob ein mottenzerfressenes Plüschteil auf, das mal der Kopf eines
Schaukelpferds gewesen sein musste, und drehte es hin und her.
    »Die
Ladung hier hat er auf einer Auktion ersteigert. Hat irgendeinem Einsiedler
gehört. Fast alles Müll. Der Typ stand auf ausgestopfte Tiere. Verkaufen sich
schlecht, sagt Frank, zumindest im Moment.«
    Sie nickte
abwesend und legte den Pferdekopf wieder hin. Immer noch schwebten dichte
Rauchschwaden von der Decke herab und schmiegten sich wie durchsichtige Stolen
um ihre nackten Schultern. »In den Dörfern, durch die wir gekommen sind, haben
wir dauernd so was gesehen«, sagte sie und strich mit den Fingern über den
Plunder. »Wenn die Einwohner geflohen waren, sind die Soldaten gekommen und
haben alles mitgenommen, was die Menschen zurücklassen mussten.
Waschmaschinen, Videorekorder, Bilderrahmen, Teppiche, Öfen. Die Sachen standen
am Straßenrand, bis die Lastwagen kamen. Dann wurde alles aufgeladen,
abtransportiert und woanders verkauft. Die leeren Häuser haben sie abgebrannt.«
    Es war das
erste Mal, dass ich sie darüber sprechen hörte, was in ihrer Heimat passiert
war. Ich sagte nichts und wartete ab, ob sie noch mehr erzählen würde. Doch sie
drehte sich um und setzte sich mit ihrem Glas auf einen Stuhl. Ich saß ihr
gegenüber auf der Fensterbank. Sie lächelte gekünstelt und legte die Hände in
den Schoß. »Hier lebst du jetzt also«, sagte sie.
    »Ja«,
sagte ich.
    »Kann man
sich kaum vorstellen - du mitten in einem Haufen Gerumpel.«
    »So übel
ist es auch wieder nicht«, sagte ich. »Wahrscheinlich.«
    Ich
klopfte mit dem Fuß auf den Boden. Was wollte sie von mir? Erwartete sie etwa,
dass ich hier mit ihr Smalltalk machte, während sie das baufällige Ambiente
begutachtete? Gereizt musterte ich sie von Kopf bis Fuß und wünschte mir, sie
würde gehen. Als ich ihrem gesenkten Blick zu den im Schoß gefalteten Händen
folgte, sagte ich plötzlich: »Das sind doch Bels, oder?«
    »Was?«
    »Die
Handschuhe?«
    »Die?« Als
bedrohte ich sie mit einer Waffe, hob sie verwirrt die Hände in die Höhe. »Ja,
stimmt, die hat sie mir geschenkt.«
    Ich
erinnerte mich, dass sie eins von Vaters vielen Geschenken für sie waren. Er
hatte ihr immer teure Dinge gekauft, die sie dann nie anzog. Bel mochte keine
neuen Kleider, sie hatte lieber welche, die lebten, wie sie immer sagte, darum
ginge es doch bei Kleidern, oder nicht?
    »Ist schon
eine Zeit lang her«, sagte Mirela. »Schätze, als du im Krankenhaus warst. Ich
hatte ja keine eigenen Sachen.« Sie spreizte ihre Finger und wedelte
spielerisch damit herum. »Damals sind wir noch besser miteinander
ausgekommen.« Ich reagierte nicht auf ihr wehmütiges Lächeln. Sie seufzte und
fing an, nacheinander jeden Finger ihrer linken Hand zurückzubiegen. »Ich
wollte nicht, dass alles so kommt, Charles. Ich wollte niemandem wehtun. So
was tut man halt als Mädchen. Deine

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