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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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eines Streitgesprächs, das gerade an der
Garderobe im Gange war. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich über den Ernst
der Lage im Klaren sind«, sagte eine Dame zu Frank, mit deren Falsettstimme man
Kristall hätte schneiden können. »Das ist nicht nur eine Frage der Kosten.
Dieser Fuchspelz ist unersetzlich. Er ist ein Stück Geschichte, können Sie das
verstehen?«
    »Nun ja,
er ist aber nicht da«, sagte Frank. Seine Stimme hatte etwas Endgültiges.
    »Aber wo
soll er sonst sein?« Die Tonlage der Frau steigerte sich um ein paar Oktaven.
»Wo soll er denn sonst sein?«
    »Vielleicht
ist er weggelaufen«, sagte Frank. »Vielleicht wollte er nicht mehr in einem
Haus leben.«
    »Er ist
fort«, kreischte die Frau und ließ ihre juwelengespickte Hand auf den Tisch
niedersausen. Dann, als hätte sie sich selbst erschrocken über das, was sie
gerade gesagt hatte, umklammerte sie mit derselben Hand ihren Hals und taumelte
zurück. Ich hatte den Eindruck, als sei diese Auseinandersetzung schon eine geraume
Zeit im Gang. Sie tat mir ein bisschen Leid, doch ich schlug den Kragen hoch,
schaute geradeaus und ging zur Haustür.
    Es war
eine klare und kalte Nacht, und die Luft kribbelte auf den Lippen und in den
Nasenlöchern. Einer der Lakaien der Theatergruppe stand vorn an der Einfahrt
und dirigierte mit blauen Fingern und stoischem Gesichtsausdruck die Autos auf
die Straße. Er trug die altmodische Uniform eines Hotelpagen, die Harry bei
seinen Grabungen auf dem Dachboden in dem scheinbar grenzenlosen Vorrat an
altertümlichen Schätzen entdeckt hatte. Die abbiegenden Lichtkegel der
Scheinwerfer warfen verrückte Schatten, die zwischen den Stämmen und Ästen der
schlafenden Bäume Bilder von knorrigen, elfenhaften Gesichtern heraufbeschworen.
Durch die Hecke konnte ich auch das Licht sehen, das im Arbeitszimmer vom alten
Thompson brannte. Mutter hatte Olivier für den Theaterabend zwar eine Einladung
geschickt, dass er wirklich kommen würde, hatte sie aber wohl nicht erwartet.
Seit der Beerdigung des alten Mannes hatte ihn niemand mehr gesehen; er ging
nicht mal mehr an die Tür. Alle möglichen Geschichten geisterten herum: dass
sein Testament, in dem er Olivier alles hinterließ, von einem obskuren Neffen
aus Australien angefochten worden sei; dass dieser Neffe vorhabe, das alte
Anwesen abzureißen und neue Häuser zu bauen, die er dann verkaufen wolle; dass
Olivier - aus welch kauzigem Grund auch immer - sich weigerte, mit Thompsons
Anwälten und auch sonst einem Menschen zu sprechen.
    Ich ging
die Stufen hinunter und steuerte die am Tor wartende Taxischlange an, in der
Hoffnung, einen der Fahrer überreden zu können, mich nach Bonetown zu fahren.
Doch als ich an dem Goldregen vorbeiging, stellte sich mir eine Gestalt in den
Weg. Ich erschrak zu Tode. Ein paar Sekunden standen wir beide regungslos da
und beäugten uns.
    »Ich hab
gedacht, du wärst schon schlafen gegangen«, sagte ich schließlich.
    »Nein«, sagte
sie und schüttelte ihre Handgelenke. Sie zitterte am ganzen Körper. Ich fragte
mich, wie lange sie schon hier zwischen den Bäumen gewartet hatte.
    »Also
dann...« Da ich den Austausch der Höflichkeitsfloskeln für abgeschlossen hielt,
wollte ich weitergehen, doch sie kam mir zuvor und versperrte mir wieder den
Weg.
    »Nimm mich
mit«, sagte sie.
    Ich
schaute sie an.
    »Ich muss
...«, sagte sie und brach ab. »Ich muss einfach eine Zeit lang weg von hier.«
    Ich
wartete kurz und sagte dann schroff: »Und wohin willst du?«
    »Egal«,
sagte Mirela.
    Wahrscheinlich
wäre es am besten gewesen, wenn ich sie einfach hätte stehen lassen. Was
hatten wir uns nach diesem Abend schon noch zu sagen? Aber etwas an ihrer
Verwirrtheit, vielleicht die panischen Augen oder die völlig bedeutungslosen
Gesten, zog mich hypnotisch an - so wie man von einem Autounfall angezogen
wird. Es brachte eine Saite in mir zum Klingen, trotz allem oder gerade
deswegen. Im Leben ist es halt anders als im Kino: kein unheilvolles
Anschwellen der Filmmusik, keine fatalistische Kameraperspektive von oben, kein
Hinweis darauf, dass dies der Augenblick ist, an dem dein Leben sich ändert;
stattdessen ist es so, als ob ein Zug geräuschlos auf andere Geleise
überwechselt, als ob er während der Fahrt, mitten in der Nacht, in ganz anderer
Richtung weiterfährt. Sie schaute mich wieder mit diesem seltsam entblößten
Gesichtsausdruck an. »Bitte, Charles«, sagte sie. Und mir fiel ein, wie sie
neulich auf der Treppe ihre Hand auf die

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