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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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den Nachrichten irgendein
schreckliches Ereignis kommentieren, durch das sich die Menschheit auf entscheidende
Weise disqualifiziert habe. Schon seit unserer Kindheit hatte Bel diese Art
Tonfall für meine spektakuläreren Schnitzer reserviert. Wie ich jetzt so im
Halbdunkel dastand, fühlte ich mich wie an einem bestimmten Nachmittag, der
schon viele Jahre zurücklag. Aus der Kommode in seinem Arbeitszimmer hatte ich
Vaters Taschenuhr mitgehen lassen und diese per Zeitungsanzeige verkauft, um
Vater zum Geburtstag einen Digitalwecker schenken zu können. Mit Plänen hatte
ich es nicht so, das war mehr Bels Stärke, und diesen Plan hatte ich sogar vor
ihr verheimlicht - bis zu jenem Nachmittag, als ich mit dem sorgfältig in
meiner Pausenbrotbüchse versteckten Wecker aus Dun Laoghaire nach Hause kam und
sie vor vollendete Tatsachen stellen konnte. Ihre Reaktion entsprach jedoch
nicht dem Maß an grenzenloser Bewunderung, das ein Plan dieser Größenordnung
meiner Meinung nach verdient gehabt hätte. Ganz im Gegenteil. Sie öffnete ganz
weit die Augen, schüttelte ganz langsam den Kopf und sagte: »Ach, Charles.« Es
klang, als sei sie von Ehrfurcht ergriffen, als habe ich wie einer dieser
Burschen aus Geschichten der Griechischen Mythologie, die sie
immer las, irgendetwas Großes ruiniert, etwas sehr Großes, die ganze Welt zum
Beispiel, und als gäbe es nichts und niemanden, der das je wieder in Ordnung
bringen könnten.
    Damals war
ich mir jedoch sicher gewesen, im Recht zu sein. »Ich weiß gar nicht, warum du
dich so aufregst«, hatte ich gesagt.
    »Natürlich
wird er nicht wütend. Warum sollte er wütend werden?«
    »Du weißt
wirklich gar nichts«, hatte sie gesagt und den Finger aus dem Mund genommen.
»Das war die Uhr von Großvater.«
    »Na und?
Eine alte Uhr eben. Ich glaube, die ging nicht mal mehr. Die hier ist neu. Da
ist ein Radio drin, und die Zahlen kann man auch im Dunkeln sehen. Er braucht
einen Wecker. Er bleibt sowieso immer zu lange im Bett; deshalb brüllt Mutter
ihn doch dauernd an. Wenn du willst, können wir es ihm auch zusammen schenken.
Von mir aus.« Doch anstatt das freundliche und selbstlose Angebot mit Freuden
anzunehmen, schlug Bel die Hände vors Gesicht, als hoffte sie die Angelegenheit
dadurch aus der Welt schaffen zu können.
    »Wir
könnten vielleicht eine andere Uhr kaufen, nur zur Sicherheit«, sagte ich
nachdenklich. »Eine, die genauso aussieht wie die alte. Vielleicht merkt er gar
nicht, dass die alte weg ist. Na ja, vielleicht wird er ja gar nicht wütend.«
    Doch Bel stand
nur da - kopfschüttelnd, den Oberkörper hin und her wiegend - und sagte immer
wieder: »Ach, Charles.« Und zwar auf eine Art, die dir ziemlich bald unter die
Haut und dann sogar richtig an die Nieren ging.
    »Und, was
sollen wir jetzt machen?«, brüllte ich schließlich. »Du musst ausreißen«, sagte
Bel automatisch und ein bisschen zu fix für meinen Geschmack. »Gut«, erwiderte
ich. »Aber du auch.«
    »Warum
ich?«, sagte sie. »Weiß nicht«, sagte ich gereizt. »Weil du auch eine Strafe
kriegst.«
    »Warum
soll ich eine Strafe kriegen? Ich hab nichts getan.«
    »Du
kriegst sicher auch eine. Nur so. Du weißt doch, wie sie sind. Na dann, mach's
gut, schätze, wir sehen uns nie wieder...«
    »Charles, warte !« Sie
lief hinter mir her, aus ihrem Zimmer, die Treppe hinunter und dann nach
draußen. Unser neues Leben im Pavillon verlief glücklich bis zum Einbruch der
Nacht. Bel hatte zu jener Zeit eine Heidenangst vor der Dunkelheit, ja, sie
konnte sich sogar mit der Idee von Dunkelheit als solcher nicht anfreunden und
hegte tiefe Zweifel bezüglich der Wahrscheinlichkeit, dass die Sonne, hatte man
ihr erst einmal gestattet unterzugehen, je wieder aufgehen würde, auch dann
noch, als ich ihr aus eigener Erfahrung, die, wie sie wusste, acht im Vergleich
zu ihren fünf Jahren umfasste, versicherte, dass die Sonne in der Vergangenheit
immer aufgegangen sei. »Und wenn sie doch nicht aufgeht?« Sie flüsterte - für
den Fall, dass die Sonne mithören konnte. »Was machen wir dann?« Bel Einbruch
der Nacht fing Bel also an zu weinen. Und sie weinte und weinte und war auch
nicht dadurch zu beruhigen, dass ich das Radioteil von dem Radiowecker
anstellte. Schließlich bekam bis ich es mit der Angst, dass sie irgendwann
einfach aufhören würde zu atmen. Ich nahm sie an der Hand, und wir gingen über
den Rasen zurück. Das Haus ragte bedrohlich aus der Dämmerung auf, und eisige
Blitze des Grauens

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