Murray, Paul
schaute
sie mich an. »Na ja, ich hab gedacht, ich bleib hier bei dir.«
»Hier?«,
sagte ich. »Bei mir? Jetzt sofort?«
»Bei dir
und Frank«, sagte sie. »Warum nicht? Könnte doch ganz lustig sein.«
Ich lief
nervös im Zimmer herum. Beunruhigt rang ich die Hände und warf gelegentlich
einen Blick auf die Schlafzimmertür. »Wär das nicht
ziemlich unangenehm? Ich meine, wegen der Geschichte zwischen dir und Frank?«
»Da ist
keine Geschichte«, sagte Bel. »Er hätte sicher nichts dagegen, da bin ich mir
sicher.«
»Ja, aber
... Wo willst du überhaupt schlafen?«
»Hier auf
der Couch, hab ich gedacht. Und verschon mich bitte mit diesem moralisierenden
Beschützergedöns ...«
»Nein, nein,
das ist es nicht, es ist nur so, dass hier auf der Couch normalerweise Droyd
schläft.«
»Na, dann
eben im Sessel oder auf dem Fußboden, ist mir egal. Charles, würdest du dich
bitte hinsetzen. Was schleichst du hier die ganze Zeit im Zimmer rum?«
»Ich schleiche
nicht rum!«
»Doch, du
schleichst rum, und das macht mich nervös«, sagte sie.
So
zwanglos es mir möglich war, setzte ich mich ihr gegenüber in den Sessel.
»Kann es
sein, dass du mich nicht hier haben willst? Wenn ja, dann sag es einfach.«
»Nein,
nein«, sagte ich abwiegelnd und beugte mich vor. »Ganz und gar nicht, ich mache
mir nur Sorgen, dass du das alles ein bisschen überstürzt.«
»Ich
überstürze nichts«, sagte sie. »Ich rede doch schon seit Jahren davon.«
»Ja,
aber...« Unwillkürlich sprang ich auf und fing wieder an, im Zimmer
herumzugehen. »Versteh doch, das Gefährliche an so einer Situation ist doch ...
Ich meine, oft ist es bei solchen Sachen einfach das Beste, wenn man nach Hause
geht und eine Nacht drüber schläft, und dann am nächsten Morgen, wenn man aufwacht
und das Ganze bei Licht betrachtet, dann...«
»Ich hatte
alle Zeit der Welt, um das bei Licht zu betrachten. Ich bin mir absolut sicher,
Charles. Deshalb musste ich ja auch sofort weg, damit ich mich nicht noch mal
einwickeln lasse und alles nur noch komplizierter wird. Weil ... vielleicht bin
ich ja doch nicht zur Schauspielerin bestimmt. Vielleicht liegt meine
Bestimmung ganz woanders, und ich hab noch gar keinen Schimmer, wo.« Sie rieb
sich aufgeregt ein Auge und schmierte sich dabei einen schwarzen Streifen
Lidschatten bis zum Haaransatz. »Ich hab mir das so gedacht: Ich bleib hier,
bis ich weiß, was ich mit meinem Leben anfangen will, und dann könnten wir uns
ja zusammen eine Wohnung suchen...«
Ich war
wie vom Donner gerührt. »Zusammen?«
»Ich hab
nicht viel Geld, du müsstest mir für kurze Zeit ein bisschen unter die Arme
greifen. Ich suche mir einen Job, und in ein paar Monaten, wenn ich an das Geld
aus meinem Treuhandvermögen ...«
»Moment
mal«, sagte ich. »Wieso zusammen?«
»Für zwei
findet man leichter eine Wohnung«, sagte sie. »Und du willst doch auch hier
raus, oder?«
Ich ließ
mich wieder in den Sessel fallen und fuhr mir mit der Hand übers Kinn. »Ist das
dein Ernst?«, fragte ich. »Kein White-Russian-weiße-Mäuse-Hirngespinst oder
so?«
»Ich kann
nicht mehr zurück, Charles«, sagte sie ruhig. »Ich kann einfach nicht mehr
zurück ... zu ihm und zu ihr, zu Mutter und zu diesen schrecklichen
Telefontypen mit ihren Marketingstrategien. Das ist wie ... wie Vichy. Schon
bei dem Gedanken, dass ich da auf der Bühne seinen Text
sprechen soll, wird mir übel.«
»Aber was
ist mit deinem alten Kumpel Tschechow? Ihr wolltet doch dieses eine Stück von
ihm auf die Bühne bringen. Was ist damit?«
»Sie haben
sich gegen Tschechow entschieden«, sagte sie. »Gegen Tschechow? Warum?«
»Gibt
keine Telefone in dem Stück«, sagte sie achselzuckend. »Du siehst also, du bist
der einzige Mensch, Charles, den ich noch habe. So traurig das klingt, aber es
scheint ganz so, als ob du in meinem Leben als Einziger übrig geblieben bist,
dem ich wirklich vertrauen kann.« Sie stellte ihre Tasse ab und drückte die
Knie zusammen. »Was meinst du? Ein vollkommen neuer Anfang, das war doch toll, meinst du nicht?«
Ich wusste
nicht, was ich davon halten sollte. Ich war zu keinem klaren Gedanken fähig.
Plötzlich erschien alles so scheußlich unwirklich. Konnten wir wirklich einfach
so von vorn anfangen? Konnten wir das Haus einfach so vergessen und diesen
unerträglichen Leuten überlassen? Unser ganzes Leben, alles, was wir waren,
steckte darin. Auch hier, als Exilant in Franks Rattenloch, war ich immer davon
ausgegangen, dass ich
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