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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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scheint
ein sehr vernünftiges und ausgeglichenes Mädchen zu sein, das hoffentlich
einen guten Einfluss auf deine Schwester haben
wird.« Sie betonte das Wort gerade so stark, dass deutlich wurde, was sie
meinte. »Mach bitte keinen Ärger deswegen, Charles. Ich glaube, es ist zu ihrem
Besten.« Sie hielt inne. »Sie war hier nicht sonderlich glücklich in letzter
Zeit«, sagte sie.
    »Hätte sie
mir etwa nichts gesagt?« Mir versagte fast die Stimme. »Ich meine, hätte sie
sich nicht mal von mir verabschiedet?«
    »Ich weiß
nicht, Charles«, sagte Mutter überdrüssig. »Warum quälst du mich mit solchen
Fragen? Wenn du wie jeder andere auf u.A.w.g. reagiert hättest, hätte uns das
allen viel Ärger erspart. Kommst du jetzt, oder kommst du nicht?«
    »Ja, ja,
sicher, natürlich, aber...«
    »Gut.
Punkt acht, denk dran.« Mutters Stimme nahm einen metallisch nachhallenden
Klang an; die Verbindung stand kurz vor dem Kollaps. »Förmlich, Charles. Und bring eine Tischdame mit. Candida Ole hat mir neulich
gesagt, dass Patsy von ihren Reisen zurück ist. Wäre doch nett, wenn du sie
...« Dann hörte ich in weiter Ferne ein berstendes Geräusch, und die Leitung
war tot.
     
    Dem
flüchtigen Betrachter mag es so vorkommen, als würde ich überreagieren. Aber
ich kannte Bel - ich war der Einzige, der sie
kannte. Ich war der Einzige, der begriff, was eine Geste wie diese bedeutete.
Jalta, um Himmels willen! Wer um alles in der Welt war jemals nach Jalta
gefahren? Nein, ich konnte zwischen den Zeilen lesen. Sie machte einen neuen
Anfang, und sie machte ihn allein. Und selbst wenn sie in sechs Monaten
zurückkäme - sechs Monate! -, zu uns
würde sie nicht zurückkehren.
    Vom Rest
des Abends habe ich nur noch eine verschwommene Vorstellung. Ich erinnere mich
vage daran, dass ich - nachdem ich den bulgarischen Cabernet weggeputzt hatte -
zur Tankstelle ging und vier oder fünf Flaschen von diesem abscheulichen
deutschen Riesling kaufte. Ich sehe mich in den frühen Morgenstunden schemenhaft
im Schneidersitz auf dem Boden des Wohnzimmers sitzen und die letzten Reste
des unaussprechlichen Inhalts eines Weinsacks austrinken, den ich unter der
Küchenspüle gefunden hatte und der vermutlich für Notsituationen wie
Hungersnöte oder Dürren gedacht war. Hemmungslos weinend durchsuchte ich ihren
Koffer. Ich breitete die Kleidungsstücke auf dem Teppich aus und kippte den
Inhalt ihres kleinen Schminktäschchens auf den Tisch: einen Lippenstift, einen
Zerstäuber von Chanel oder so, ein zerknülltes Papiertaschentuch, das
Telsinor-Handy, das jeder bekommen hatte, Münzen, die Perlen eines gerissenen
Armbands. Ganz unten lag der silberne Anhänger, den sie in letzter Zeit immer
getragen hatte. Als sei er im Besitz aller Antworten, zwinkerte er mir in
seiner unsäglichen kindlichen Schlichtheit zu.
    Allerdings
ist es gut möglich, dass ich mir das alles nur einbildete. Woran ich mich als
Nächstes erinnerte, war, dass ich um halb elf an einem Mittwochmorgen mit
zitternden Händen an einem Fließband stand, das gerade stehen geblieben war.
    Alle
schauten mich an, weil sie dachten, dass ich mal wieder die Zuckergussmaschine
blockiert hätte. Auch ich dachte das, es war die plausibelste Erklärung. Aber
ich hatte sie nicht gestoppt, die Maschinen waren einfach stehen geblieben. Wir
hielten nach Mr Appleseed Ausschau, der aber nirgendwo zu sehen war. Also zogen
wir achselzuckend und vor uns hin murmelnd unsere Handschuhe aus. Dann
schaltete sich kreischend der Lautsprecher ein, und eine dröhnende Stimme
beorderte uns zu einer Versammlung in den Brotschneidebereich.
    Das
erregte noch mehr Aufsehen. Eine Versammlung? Wir hatten noch nie eine
Versammlung gehabt. Ich hatte noch nicht mal gewusst, dass wir einen
Lautsprecher hatten. Das war ziemlich aufregend - eine Versammlung, wie bei
richtigen Arbeitern! Mit stolzgeschwellter Brust und aufgeregt schwatzend marschierten
wir im Gänsemarsch durch die Flügeltür.
    »Vielleicht
kriegen wir eine Lohnerhöhung«, sagte Bobo.
    »Vielleicht
stellen sie einen neuen Verkaufsautomaten auf«, sagte Arvids bissig. »Wo
anständige Snacks drin sind anstatt nur trockene Brotscheiben.«
    Im
Brotschneidebereich wimmelte es schon von Männern in Overalls - einschließlich,
wie ich zu meiner Überraschung feststellte, der Männer von der C-Schicht,
deren Arbeitsbeginn erst in sechs Stunden war. Die beiden drogenverwirrten
Daves-Burschen, die diese Abteilung leiteten, standen an einer Säule und
schauten

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