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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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und den gefährlichen Weg ins Verderben beschreiten willst, dann ist
das deine Sache. Es gehört nicht länger zu meinen Aufgaben, dich daran zu
hindern. Dass du einen zersetzenden Einfluss auf deine Schwester ausübst,
werde ich allerdings nicht zulassen. Du weißt sehr wohl, dass sie so ihre Probleme
hatte, und doch setzt du ihr weiter romantische Flausen in den Kopf. Ungeachtet
dessen...« Sie sprach jetzt lauter, um meine Unschuldsbeteuerungen bezüglich
jedweden Einflusses auf irgendeinen Aspekt von Bels Leben zu übertönen.
»Ungeachtet dessen habe ich dennoch beschlossen, dich einzuladen, weil ich
gegenüber Mr O'Boyle die Dankbarkeit nicht nur des Theaters, sondern der ganzen
Familie zum Ausdruck bringen will. Weil sein Engagement nämlich auch uns
persönlich betrifft, Charles. Wie du weißt, steuern sie auch eine beträchtliche
Summe zur Renovierung unseres Hauses bei. Und, was noch wichtiger ist, sie
scheinen sich verpflichten zu wollen, all unsere Schulden zu tilgen und somit
unsere finanzielle Zukunft auf absehbare Zeit zu sichern, was heißt, dass
Amaurot auch im nächsten Jahrhundert in Familienbesitz bleiben wird. Ob wir das
verdient haben oder nicht, ist natürlich eine andere Frage. Nichtsdestotrotz
möchte ich die ganze Familie anwesend wissen, um diesen Anlass zu begehen,
sogar jene schwarzen Schafe, die es anscheinend vorziehen, sich an den Rändern
herumzudrücken.« Und dann fügte sie wohl überlegt hinzu: »Außerdem bin ich der
Meinung, unbeschadet dessen, was ich gerade gesagt habe, dass du noch einmal
deine Schwester sehen solltest, bevor sie abreist.«
    Mir
verriss es fast den Arm. »Bevor sie was?« Ich schüttelte den Hörer, als vom
anderen Ende wieder mal nur Rauschen zu vernehmen war. »Bevor sie was?«
    «...
sonders viel Wert darauf legt«, tauchte als Erstes wieder aus dem Rauschen auf.
»Trotzdem, das ist eine Frage der guten Manieren wie der Reife. Und hör bitte
damit auf, jede deiner Fragen zu wiederholen. Das ist äußerst enervierend,
Charles.«
    »Entschuldige«,
stammelte ich. »Was war das noch mal, was du gerade gesagt hast, das mit Bel und
dass sie abreist?«
    »Sie reist
ab, ja«, sagte sie gereizt. »Also wirklich, dringt eigentlich irgendetwas bis
zu dir durch, in deiner kleinen Höhle da draußen? Sie geht mit dem
Kiddon-Mädchen für sechs Monate nach Jalta. Irgendeine Tschechow-Meisterklasse.
Bel und Tschechow, du weißt ja.«
    Mein
Gehirn fühlte sich an, als wäre es in ein Hornissennest gefallen. Es brummten
zu viele Fragen darin herum, als dass ich sie in irgendeine logische Ordnung
hätte bringen können. »Was?«, sagte ich schwach.
    »Jalta, Charles,
das liegt in Russland. Die Planungen laufen schon seit Wochen. Das kommt davon,
wenn man sich völlig abkapselt ...«
    »Und wann will sie
... ich meine ... wann?«
    »Am
Freitag, wie ich schon gesagt habe, deshalb ist ja das Essen am
Donnerstagabend. Sozusagen eine Doppelfeier.«
    Das Blut
brodelte in meinen Ohren. Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Tür und
rutschte daran herunter bis in die Hocke. »Irgendeine Freundin von dem
Kiddon-Mädchen war bei der Premiere von der Rampe«, sagte
Mutter. »Sie hat Bel kurz danach angesprochen und ihr angeboten, an dem Kurs
teilzunehmen. Frag mich aber nicht, warum - nach der Vorstellung.«
    »Sechs Monate?«, flüsterte
ich. »In Russland?«
    »Es kostet
ein Vermögen, ich weiß, ich weiß. Ich hatte meine Bedenken, besonders da die
Gute im Augenblick kaum noch in der Lage ist, sich die Schuhe zuzubinden, ohne
gleich eine deutsche Oper daraus zu machen. Ich hoffe, dass sie in den paar Monaten
so ganz für sich allein wieder zu sich findet. Und vielleicht findet sie sogar
wieder zurück zu uns, die wir hier unten auf dem Planeten Erde leben. Das
Kiddon-Mädchen hat mir versichert, dass das ziemlich angesehene, ja sogar
berühmte Leute sind.«
    »Wer ist
das?«, fragte ich.
    »Na,
dieses Institut. Ich glaube, es heißt Knipper Foundation.«
    »Nein,
nein, ich meine das Kiddon-Mädchen. Wer ist das?«
    »Du kennst
sie, Charles. Kiddon, wie heißt sie noch gleich mit Vornamen? Jessica. Sie ist
mit Bel zur Schule gegangen. Ihr Vater ist irgendein ein hohes Tier bei
Deloitte and Touche.«
    »Nie von
ihr gehört«, sagte ich. »Die ganze Geschichte hört sich ziemlich absurd an,
wenn du mich fragst. Bel so einfach mit irgendeiner völlig Fremden durch
Russland gondeln zu lassen...«
    »Sie ist
keine Fremde, Charles. Ich habe am Telefon mit ihr gesprochen, und sie

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