Murray, Paul
nur aus dem Grund, dass er offensichtlich keine Ahnung hatte, wie
eine solche Suche zu organisieren sei. Anscheinend glaubte er, man müsse nur
aus dem Haus gehen und in der Gegend herumlaufen. Ich erklärte ihm, sollte die
Suche auch nur ansatzweise einen Sinn haben, dann müsse sie methodisch und
umfassend angegangen werden. Zuletzt gesehen hatte man Droyd in der Gegend von
Christchurch Cathedral, und ich vermutete, dass er sich immer noch in der Stadt
aufhielt, da diese, was alte Damen und arglose Touristen anging, für ihn den
ergiebigsten Aufenthaltsort abgab. Die nahe liegende Strategie war also, in der
Innenstadt auszuschwärmen. Da wir aber nur zu zweit waren, nahm er eine Seite
und ich die andere: ich die Gegend südlich des Liffey, Frank die nördlich des
Flusses, erste Lagebesprechung um Mittag. Wir verließen das Haus im
Morgengrauen.
Es regnete
noch immer. Das Wasser tropfte von der Festbeleuchtung, dem Glitzerschmuck und
den Lampions, die zwischen den Laternenpfählen aufgespannt waren. In den
Straßen wimmelte es von drängelnden Regenschirmen. Trotz der frühen Stunde und
des Wetters wälzte sich die mit Weihnachtseinkäufen beladene Menschenmenge
durch die Hauptverkehrsstraße. In den Auslagen der Kaufhäuser lockten
Küchengerät, elektronischer Schnickschnack und umwerfende, in prächtiges Tuch
gehüllte Schaufensterpuppen. Die chaotische und unwirkliche Atmosphäre machte
mich so wirr, dass ich vergaß, nach wem ich suchte. Überall sah ich Bels
Gesicht. Dauernd dachte ich, dass all die Leute, die hier durch den Royal
Hibernian Way hechelten, es nur deshalb so eilig hatten, weil sie es
rechtzeitig zur Dinnerparty heute Abend schaffen mussten; dauernd hatte ich den
Smoking vor Augen, der an der Tür in meinem Zimmer auf mich wartete.
Und
dennoch konnte ich Frank, den ich wie verabredet, an einem Crepe kauend, um ein
Uhr an der Statue der Frau mit dem Fischkarren und dem tiefen Dekollete traf,
kategorisch versichern, dass Droyd sich nach umfassender Überprüfung des südlichen
Innenstadtbereichs definitiv nicht im Conrad, im Westbury oder im Jury's
Inns aufhalte und sich auch während des ganzen Morgens nicht
im TipTopKrawatte habe blicken lassen. Als ich ihm
das berichtete, nahm sein Gesicht eine merkwürdige Farbe an. Ich bot ihm einen
Bissen von meinem Crepe an; vielleicht hatte er Hunger.
»TipTopKrawatte?«, sagte er laut. »Warum, zum Henker, sollte er ins TipTopKrawatte?«
»Weiß
nicht«, sagte ich. »Ich dachte, vielleicht kauft er sich für das geklaute Geld
eine Krawatte.« Das TipTopKrawatte schien mir
genau der Laden zu sein, wo sich ein Typ wie Droyd seine Krawatten kauft.
Das war
der Punkt, an dem Frank die Anspannung zu viel wurde. Er rastete aus. Hier den
Wortlaut seiner Rede wiederzugeben, verbietet sich. Es genügt der Hinweis,
dass es sich um Arschloch hier und Arschloch da drehte, um Wichser hier und
Wichser da, bis schließlich jeder ein Wichser war. Der grobe inhaltliche Kern
war der, dass ich in den letzten drei Monaten mit geschlossenen Augen durch die
Welt gelaufen sein müsse, wenn ich glaubte, dass außer vor Gericht irgendein
Arsch aus ganz Bonetown jemals eine Krawatte trage oder in seinem ganzen Leben
auch nur einmal das Westbury betrete
oder auch nur irgendwas mit diesem ganzen Scheiß zu tun habe; Droyd habe das
Geld für Heroin ausgegeben, weil das Einzige, wofür man sein Geld in Bonetown
ausgeben könne, Heroin sei. »Heroin, Charlie!«, brüllte er. »Heroin! Die ganze
verschissene Gegend lebt vom Heroin!«
Ich sagte
nichts. Die Leute warfen uns schon Blicke zu. Er hörte auf, mit den Armen
herumzufuchteln und schaute mir zornbebend in die Augen. Dann nahm er mir den
Crepe aus der Hand und warf ihn in eine Mülltonne. »Los«, sagte er und stapfte
in die Richtung davon, aus der ich gerade gekommen war.
Die
Strecke, die wir jetzt abgingen, konnte sich - kartografisch gesehen - von der,
die ich am Vormittag schon ausgiebig unter die Lupe genommen hatte, kaum
unterschieden haben. Und doch kam es mir vor, als befände ich mich in einer
anderen Stadt, in einer, die jenseits der mir bekannten glänzenden Fassade
existierte. Diese Stadt bestand aus Sackgassen und Seitenstraßen voller
Müllsäcke, deren Bewohner im permanenten Gestank von Urin und Verfall lebten
und die man erst mit der Fußspitze anstoßen musste, bevor man sie nach Droyds
Aufenthaltsort fragen konnte. Manche waren zu berauscht, um überhaupt sprechen
zu können; manche versuchten, einem
Weitere Kostenlose Bücher