Murray, Paul
das Geld denn hernehmen?«
Er stand
auf und schaute auf mich herunter. »Charlie«, sagte er. »Lass jetzt bloß nicht
das Arschloch raushängen.«
»Ich lass
nicht das Arschloch raushängen. Ich hab das Geld nicht«, sagte ich und trat
einen Schritt zurück.
»Aber du
musst«, sagte er mechanisch und kam mit seinen schlenkernden baumdicken Armen
auf mich zu. »Jeder, der aus Killiney kommt, hat haufenweise Geld...«
»Verdammt,
Frank, denk doch mal zwei Sekunden nach«, brüllte ich ihn an. »Wenn ich Geld
hätte, würde ich dann hier wohnen? In diesem Slum? Glaubst du etwa, dann würde
ich hier den ganzen Tag zwischen Junkies rumlatschen oder irgendwelche Leute
aus Opiumhöhlen rauszerren? Ich sollte eigentlich bei Stewardessen einziehen.
Stewardessen, Frank! Aus Schweden! Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass ich
lieber woanders wohnen würde als in einer Ghettobude mit einem Schrotthändler
und einem jugendlichen Straftäter.«
Eine
Sekunde lang war ich mir sicher, dass er mich schlagen würde. Aber er tat es
nicht. Stattdessen schien sein Gesicht irgendwie in sich zusammenzufallen. Er
schlug die Hände vors Gesicht und sackte wieder zu Boden.
Eine dünne
Stimme machte sich bemerkbar. Der Regen hatte Droyd geweckt. »Tut mir Leid,
Frankie«, nuschelte er in Zeitlupentempo und zupfte an Franks Ellbogen. »Ab
jetzt nur noch die Musik, ich schwöre.«
»Das hast
du letztes Mal auch gesagt, du Penner«, sagte Frank mit zusammengebissenen
Zähnen.
»Diesmal
mein ich's ernst«, sagte Droyd. Der Regen platschte ihm auf die Stirn. »Ich
schwöre, Frankie. Mach dir keine Sorgen, wir kommen raus aus dem Scheiß. Wir fahren
nach Ibiza, hängen den ganzen Tag am Strand rum und kippen ein Bier nach'm
andern ... Und die Pussys rennen uns die Bude ein...«
»Halt's
Maul, du Wichser. Kapierst du nicht, mit dir bin ich fertig, du verschissener
Junkie.« Frank vergrub wieder das Gesicht in den Händen und steckte den Kopf
zwischen die Knie. »Wir sind am Arsch«, schluchzte er. »Völlig am Arsch.«
Ich
steckte die Hände in die Taschen und trat verlegen von einem Bein aufs andere.
Weit entfernt im Osten, irgendwo jenseits der Starkstromleitungen, fuhren
gerade die ersten Dinnergäste vor. Wenn ich mich jetzt sofort auf den Weg
machte, konnte ich die Vorspeise noch schaffen. Und morgen konnten Frank und
ich uns zusammensetzen und einen Plan austüfteln. Es hatte keinen Sinn, hier
noch länger Zeit zu verplempern und zu allem Überfluss auch noch auf Mutters
schwarzer Liste zu landen.
Doch
gerade als ich ciao ciao! sagen und dieses Ödland hinter mir
lassen wollte, hatte ich eine Vision. Klar und deutlich hatte ich das Bild vor
Augen, wie ich am Esstisch saß und Bel von den Abenteuern des heutigen Tages
berichtete. Ich präsentierte sie als eine Art Räuberpistole über die
Schwierigkeiten, die ich zu überwinden hatte, um heute Abend bei ihr zu sein.
Allerdings schien ihr das Lustige daran zu entgehen, stattdessen wurde sie
wütend und hackte auf mir herum, während ich versuchte, meine Ententerrine zu
genießen. Frank hat dir ein Dach über dem Kopf gegeben, sagte sie, und so dankst du ihm das? Erst lässt du dir Amaurot durch die Lappen
gehen, und jetzt lässt du auch noch zu, dass sie Frank aus Apt. C, Sands
Villas, rauswerfen?
Ich
schaute nach unten. Droyd war wieder eingeschlafen, sein Kopf lag an Franks
Schulter. Jetzt pass mal auf, sagte ich zu der Bel in meiner Vision, Mutter hat
gesagt, punkt acht. Die Ansage war unmissverständlich, und Gott weiß, so wie
sie drauf war, hätte sie mich um ein Haar enterbt. Und außerdem, was ist
eigentlich mit dir? Ich zeigte auf die Koffer, die in meiner Vision reisefertig
unter dem Glasfries in der Halle standen. Was bläst du dich eigentlich so auf,
du verdrückst dich nach Jalta. Was glaubst du, wann Frank oder Droyd mal die
Chance haben, so was wie Jalta zu Gesicht zu bekommen? Nie. Genau. Die kommen
wahrscheinlich nie auch nur aus ihrem gottverlassenen Slum raus.
Nichts
davon schien sie zu berühren. Sie schaute mich so an, wie sie mich schon die
ganze Zeit anschaute, und ich senkte den Blick und blickte schuldbewusst auf
meine imaginäre Ententerrine.
Und dann
hatte ich eine Idee.
Zugegeben,
die Idee machte anfangs nicht viel her, zumal als wir unsere Taschen ausleerten
und dabei nur vier Pfund achtundsiebzig in Münzen (von Frank) und als Zugabe
ein ungewöhnlich kolorierter Kieselstein vom Strand in Killiney (von mir) zum
Vorschein kamen. Doch nachdem wir
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