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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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auch geschafft, locker und ohne jeden
Hänger. Und jetzt stand sie in der Mitte der Bühne, den Mund halb offen, die
Arme ausgestreckt wie eine Klofrau auf der Männertoilette, die auf jemanden
wartete, dem sie ein Handtuch geben konnte, und hatte offensichtlich keine
Ahnung, wie es weiterging...
    »Und sieht
denn nicht von jedem Kirschbaum im Garten ein menschliches Wesen auf Sie
herab?«
    Es dauerte
nicht lange, bis das Publikum kapierte und erstes Gekicher und Getuschel
seitens der jüngeren Zuschauer vernehmbar wurde. Ich wand mich innerlich,
spürte mein Gesicht heiß werden und wünschte, ich hätte den Mut, als Deus ex Machina
auf die Bühne zu springen, Bel aus dem elenden Stück zu befreien und mit ihr in
die Nacht zu verschwinden. Jemand, wahrscheinlich ein Lehrer, zischte ihr aus
den Kulissen die Textzeile zu, doch sie schien ihn nicht zu hören. Wie ein Reh
im Scheinwerferlicht eines Autos stand sie regungslos da und rührte sich nicht
vom Fleck. Die Schauspieler versuchten die Szene um sie herum weiterzuspielen,
was jedoch unmöglich war; es war grotesk, die Leute amüsierten sich über das
Spektakel, sie lachten schallend, als der Lehrer ein zweites Mal die Textzeile
zischte. Als daraufhin hastig der Vorhang heruntergelassen wurde, brandete
höhnischer Applaus auf, während Mutters Hände vollkommen ruhig und weiß auf
ihrer Handtasche ruhten...
    »Es ist
doch so klar«, fuhr Frank fort. »Um ein Leben in der Gegenwart zu beginnen,
müssen wir zuerst unsere Vergangenheit sühnen, mit ihr Schluss machen...«
    »Jetzt
lass mal gut sein«, flüsterte ich. »Sei ein braver Junge.«
    Hinterher
war sie außer sich gewesen. Mutter, meine ich. Obwohl sie schon nach fünf
Minuten weitergespielt hatten und Bel, was ihr meiner Meinung nach zur Ehre
gereichte, zwar wackelig, aber ohne weiteren Hänger bis zum Ende durchgehalten
hatte. Zudem waren derartige Zwischenfälle wohl ohnehin eine Art Berufsrisiko.
Mutters Vorwürfe waren also völlig grundlos gewesen, und wenn Sie mich fragen,
war es kein Zufall, dass Bel am nächsten Tag so krank geworden war, dass der
Arzt hatte kommen müssen...
    »... und
sühnen können wir sie nur durch Leiden...«
    Angefangen
hatte alles mit dem Ärger vor der Aufführung. Die Schreierei und das
zerdepperte Geschirr hätte jeden aus dem Konzept gebracht, und als Vater nicht
rechtzeitig nach Hause gekommen war, waren wir kochend und vor uns hin
schweigend zur Schule gefahren. Damals hatte alles angefangen, das mit ihrer
Krankheit und den Ärzten und dann auch noch das mit Vater; zwei Jahre weiße
Kittel, kein Schlaf, Medikamente mit unverständlichen Namen und schmerzende
Kinnladen, weil alle die ganze Zeit mit zusammengebissenen Zähnen herumliefen.
Mit diesem teuflischen Stück hatte alles angefangen. Warum musste sie immer
wieder darauf zurückkommen? Warum konnte sie nicht einfach die Finger davon
lassen?
    »... durch
außergewöhnliche, ununterbrochene Arbeit...«
    »Verflucht.«
    »Vorwärts!
Nicht zurückbleiben, Freunde!«
    »Jetzt
reicht's!« Meine Hand knallte derart hart auf den Tisch, dass der Aschenbecher
in die Luft hüpfte und auf den Boden krachte.
    »Mann,
Charlie, ist doch bloß Spaß.«
    »Tut mir
Leid«, sagte ich schroff und schüttete meinen Drink hinunter.
    »Jetzt mal
ernst, Charlie, alles okay mit dir?«
    »Nein«,
sagte ich elend. Wie konnten sie sie nur einfach so gehen lassen, ohne etwas
zu sagen? Wie konnten sie nur so tun, als wäre alles in Ordnung, und zulassen,
dass sich alles wiederholte, nur damit sie sie aus dem Weg hatten?
    »Du
brauchst was in 'n Magen, dann geht's dir gleich besser«, sagte Frank. Er bat
das Mädchen, das die Scherben des Aschenbechers zusammenkehrte, zehn Päckchen
Erdnüsse zu bringen.
    Ich atmete
abgehackt. Ich fühlte mich klein und verbraucht. Ich wollte nicht mehr daran
denken. »Wie viel kriegt der eigentlich von uns?«, sagte ich und zeigte auf
den Geldhaufen. Frank stellte ein paar Kopfrechnungen an und fing dann an,
einen Bierdeckel vollzukritzeln. Bel dem Tempo dauert das die ganze Nacht,
dachte ich mutlos, und bis dann wäre sie weg, verschwunden in der endlosen
Schneewüste.
    Die
mechanische Stimme kündigte das nächste Rennen an. Ich ging zur Bar, bestellte
für Frank ein Guinness und für mich einen trockenen Martini, plus einem
Calvados für die Wartezeit. Der Himmel war inzwischen so weit aufgeklart, dass
ein Sternenpaar zu sehen war - ein tröstlicher Anblick. Ich kehrte zum Tisch zurück,
wo mich Frank mit

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