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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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er
ausstrahlte. Niemals zuvor hatte ich mich in so unmittelbarer Nähe von etwas so
Bösem befunden - außer in den Mittagspausen mit Mr Appleseed. Und dennoch
schien Celtic Tiger eine fast religiöse Inbrunst zu entfachen. Die Zocker
zählten auf ihn mit der gleichen ergebenen Verzweiflung wie die Menschen eines
ausgedörrten Landes auf die jährliche Regenzeit. »Gott segne dich, Celtic
Tiger«, sagte ein völlig fertiger Mann, der neben uns am Fenster stand und
dessen zerfurchte Wangen tränennass waren. Ich erkannte, dass im Leben dieser
Menschen Celtic Tiger eine der wenigen festen Größen war: neben dem Tod
natürlich, und Krankenschwestern. Die Startpistole knallte, der Hase jagte los.
    Wir
feuerten An Evening of Long Goodbyes so laut wir konnten an, doch ich
bezweifelte, dass er uns hören konnte. Binnen Sekunden war Celtic Tiger allein
auf weiter Flur. Stolz nahm er die Ovationen der Menge entgegen, während die
anderen Hunde in respektvollem Abstand folgten. Es glich einem Reichsparteitag
für Hunde.
    »Ein
Fiasko«, heulte ich. »Die anderen versuchen es nicht mal. Das soll ein Rennen
sein? Die sind zu feige, ihn überhaupt anzugreifen!«
    Ich hatte
es gerade ausgesprochen, als eine Welle der Bestürzung die Tribüne überrollte.
Einer der Hunde hatte sich aus der Meute gelöst und machte schnell Boden gut -
was nicht weiter schwer war, da Celtic Tigers Vorwärtsdrang dem eines Panzers
glich.
    »Was für
ein tapferer Hund«, sagte einer der Wetter widerwillig.
    »Tapfer
würde ich das nicht nennen«, sagte sein Kumpel. »Kommt mir eher so vor, als
wüsste er nicht, was er da tut.«
    »Das ist
er«, flüsterte Frank mir zu.
    Ich
begriff schnell, was passiert war. An Evening of Long Goodbyes hatte gesehen,
dass in der ersten Zuschauerreihe der Gegengeraden ein Mann sein Sandwich
ausgepackt hatte. Die Zuschauer konnten ihn jetzt ausbuhen und verfluchen, so
viel sie wollten. Ich wusste, dass er jetzt einzig an dieses Sandwich dachte,
dass er sich nicht mehr ablenken lassen würde, weder von den Buhern, noch von
der bedrohlich näher rückenden Ziellinie, noch von den einschüchternden Blicken
seines größeren Widersachers, mit dem er in diesem Augenblick gleichzog...
    »Jawoll!«,
brüllte ich und schlug gegen die Scheibe, was mir finstere Blicke der neben mir
stehenden Zocker einbrachte. »Jawoll! Hau ihn weg!«
    Und dann,
die Maske jedweder sportlichen Fairness fallen lassend, zerfetzte Celtic Tiger
die Schnauze seines Rivalen, als sei sie aus Papier, und schlug dann seine
Kiefer in dessen Hals.
    »Heee!«,
heulte Frank. »Schiedsrichter! Foul!«
    Es war ein
Gemetzel. Anfangs feuerten ein paar der blutrünstigeren Zocker den Metzger an.
Doch schnell wurden auch sie blass und verstummten. Im ganzen Stadion herrschte
Stille, ledglich das Jaulen von An Evening of Long Goodbyes und das mörderische
Knurren, Schnappen und Reißen von Celtic Tiger waren noch zu hören. »Warum tut
denn keiner was?«, bettelte ich verzweifelt. Doch niemand tat etwas. Celtic
Tiger lief nicht mal mehr, er wurde nur noch vorwärts gezerrt von dem kleineren
Hund, der sich tapfer mit dem an seiner Gurgel hängenden Celtic Tiger seinem
Sandwich entgegenschleppte. Die anderen Hunde waren stehen geblieben und dann
ein Stück zurückgelaufen; sie lagen jetzt im Rudel auf dem Bauch oder wälzten
sich auf dem Rücken. Als An Evening of Long Goodbyes, blutüberströmt, Schleim
tropfte aus seinem Maul, mit einem langen, wehklagenden Schrei auf die Seite
kippte, ging das traurige Bellen der anderen Hunde nahtlos in das Stöhnen von
Frank und der kleinen Minderheit von törichten Männern über, die gegen den
Favoriten gewettet hatten.
    Die Zocker
beugten sich schuldbewusst über ihre Biergläser, und die Stille wurde
unerträglich. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich stolperte zur Bar, quetschte
mich neben einem weißhaarigen Herrn an die Theke und bestellte mit dem wenigen
Geld, das uns geblieben war, einen dreistöckigen Whisky. So viel zum Thema
Schicksal, dachte ich bitter. So viel zum Thema mit heißem Herzen das Wagnis
des Augenblicks leben. Die Welt hatte uns zu den Versagern zurückgestutzt, die
wir waren. Cousin Bennys Worte wirbelten in meinem Kopf herum: Wir waren kleine
Wichser, und kleine Wichser würden wir auch bleiben.
    Vom
Fenster waren wieder Schreckenslaute zu hören; anscheinend gab es auf der Bahn
neue Gräueltaten. Anstatt mich umzuschauen, nahm ich ein Schlückchen Whisky und
wand mich vor Wohlgefühl, als ich den vertraut

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