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Murray, Paul

Murray, Paul

Titel: Murray, Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: An Evening of Long Goodbyes
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sehen zu können. Der Hund bellte. Mirela
lief grau an. Die Geschäftsleute plusterten sich auf und fuchtelten mit den
Armen herum...
    »Tu was, Charles!«, schrie Mutter. »Tu doch was!«
    »Na gut«, sagte ich und stand auf. »Jemand einen Brandy?
Wenn ich mich nicht täusche, haben wir noch ein paar Zigarren ...«
     
    »Charlie?«
    »Ja, Frank?«
    »Bist du wach?«
    »Ja, Frank.«
    »Wo sind wir, Charlie?«
    »In Vaters Arbeitszimmer. Du hattest einen kleinen
Aussetzer.«
    »Ja,
richtig. Hab dem Burschen die Fresse poliert.« Es entstand ein kurze Pause. Die
Dunkelheit verhüllte die Regale voller Glasfläschchen, Zeitschriften und
dickleibiger Fotomappen. »Schätze, da hat er nicht mit gerechnet.«
    »Kaum.«
    »Deine
Mutter war mächtig sauer, was? Hat ganz schön rumgeschrien, dass sie die
Bullen holt und uns einbuchten lässt und so.«
    »Ach, weißt du, Mutter sagt manchmal solche Sachen.«
    »Tut mir
Leid, Charlie. Weiß auch nicht, wie das passiert ist. War so, als wär ich nicht mehr ganz klar im Schädel.«
    Ich übte Nachsicht und ließ das unkommentiert.
    »Der hat
einfach nicht aufgehört mit der Scheiße. Hat mich ganz irre gemacht. Konnte
doch nicht einfach so zugucken, wie er dich lächerlich macht.«
    Ich
hustete. »Na ja, weiß nicht recht, lächerlich ist
vielleicht ein bisschen übertrieben...«
    »Ich
wollte eben nicht, dass er so tut, als wärst du so 'n Penner, der nicht weiß,
wo sein Arsch und wo sein Ellbogen hängt.«
    »Tja ... danke, alter Junge, danke.«
    Schweigen.
    »Charlie?«
    »Schlaf
jetzt endlich.«
    »Scheißkalt
hier drin ... Charlie? ... Gibt's hier eigentlich Gespenster? Jede Wette, in
so'm alten Kasten wie dem hier gibt's haufenweise Gespenster. Scheiße!« Das
Klappbett quietschte gequält. »Genau wie in dem Stück da von Bel, wo diese
ganzen Gesichter aus den Scheißbäumen rausgucken und dich anstarren und so 'n
Scheiß...«
    »Hör
endlich auf, hier gibt es keine Gespenster, okay?«, sagte ich gereizt. »Wenn es
welche gäbe, dann hätte Harry die sich schon gekrallt, für heute Abend zum
Kellnern oder für irgendwelche Arbeiten bei seiner erbärmlichen Aufführung.
Gott weiß, wenn ich ein Gespenst wäre, dann hätte ich mich in der Sekunde aus
dem Staub gemacht, als Harry in der Tür stand.«
    »Tja, wenn
du meinst.« Vorsichtig legte er sich wieder hin. Ich drehte mich wieder zum
Fenster. Ich saß auf meinem alten Aussichtspunkt hinter Vaters Schreibtisch,
von wo ich immer den Turm betrachtet und gelegentlich einen Engel oder eine
Schauspielerin gesehen hatte. Heute Nacht waren keine Engel unterwegs.
Wahrscheinlich hatten wir unser Kontingent schon aufgebraucht, oder sie waren
mit den Gespenstern auf Spritztour.
    Wir hatten
die Dinnerparty so gründlich, so unzweideutig ruiniert, dass wir, selbst
nachdem der Furor verraucht und die Sanitäter wieder abgezogen waren, für die
klügste Vorgehensweise die gehalten hatten, uns in Schande zurückzuziehen. Ich
war mir nämlich ganz und gar nicht sicher, ob Mutter es nicht doch ernst
gemeint hatte mit ihrer Drohung, uns zu verklagen. Also hatte ich mit Mrs Ps
Hilfe Frank nach oben geschmuggelt, und hier waren wir nun. Erst jetzt, während
ich auf der Fensterbank saß, ging mir auf, dass das Ende bedeutete, dass für
uns der letzte Vorhang gefallen war. Morgen war schon heute. Bel reiste nach
Jalta ab, und Amaurot erlebte seine Wiedergeburt als Telsinor
Hytbloday Centre of the Arts. Und unsere Bemühungen hatte am
Ende nicht das Geringste bewirkt.
    Ich war an
allen Fronten vernichtend geschlagen worden, und ich hätte eigentlich, in
diesem Augenblick der Augenblicke, in Verzweiflung versinken müssen. Und doch
war ich, während ich da am Fenster saß, ganz und gar nicht verzweifelt. Denn
aus der Düsterkeit, der Hoffnungslosigkeit und der Demütigung des Tages stiegen
gewisse aufmüpfige Bilder in mir empor: Frank, der mit Droyd auf den Armen aus
dem stinkenden Kellerloch stapfte; Frank, der gegen das Plexiglas hämmerte und
die Hunde anfeuerte; der glorreiche Augenblick, als Frank - die Zungenspitze
lugte zwischen seinen Zähnen hervor - Harry einen knackigen Schlag auf die Nase
verpasste. Ich hatte nicht um die Bilder gebeten, sie schienen auch nichts zu
ändern, und doch waren sie da, tauchten immer wieder aus der Dunkelheit vor
meinen Augen auf und erinnerten mich an einen Satz von Yeats: »Freundschaft ist
mein einziges Haus.«
    Durch mein
geisterhaftes Spiegelbild hindurch betrachtete ich mit gerunzelter Stirn die

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