Murray, Paul
bereit erklärt hat, mit mir in den
Stand der Ehe...«
Noch bevor
er den Satz beenden konnte, schoss der weibliche Teil der Tischgesellschaft von
den Stühlen hoch, stürmte auf Mirela los und schloss sie kreischend in die
Arme. »Ach, wie wunderschön!« Mutter krallte sich die Finger in die Wangen,
Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ach, wie wunderwunderschön!«
Meine
erster Gedanke galt Bel. Ich drehte mich schnell um, wobei ich die Arme schon
halb ausgebreitet hatte, wohl in der Annahme, sie könne vielleicht in Ohnmacht
fallen. Doch sie schaute sich das alles so seelenruhig an, als spiele es sich
weit, weit weg und unter Menschen ab, die sie noch nie zuvor gesehen hatte -
weshalb ich zwangsläufig auf meine eigenen Emotionen zurückgeworfen wurde.
Es war
komisch: Hätte mir jemand vor fünf Minuten diese Situation ausgemalt, hätte ich
ihm wahrscheinlich gesagt, und zwar aus ehrlicher Überzeugung, dass mir das
vollkommen egal sei. Doch als ich Mirela jetzt anschaute, fühlte ich mich so
kalt, krank und leer, als hätte man mir den Todesstoß versetzt. Als sie aus dem
jubelnden Getümmel wieder auftauchte, das Gesicht rosafarben und frisch,
lachend und ganz wie ein verliebtes Mädchen, ging mir alles, was sie mir
während unserer wenigen widersprüchlichen Unterhaltungen gesagt hatte, noch
einmal durch den Kopf. In diesem Augenblick wurde mir mit schrecklicher Endgültigkeit
bewusst, dass ich keine Ahnung hatte und auch nie haben würde, wie diese Welt
funktionierte oder was in den Herzen ihrer Bewohner vor sich ging; dass sie
mir in höchstem Maße undurchsichtig und rätselhaft war und immer sein würde,
und was auch immer von nun an geschähe, wäre vollkommen einerlei, weil sie mir
nie begreiflicher werden würde.
»Charlie«,
sagte der schweißnasse Frank in vertraulichem Ton. »Ich spür mich nicht mehr.«
»Ich mich
auch nicht, alter Knabe«, sagte ich. »Ich mich auch nicht.«
In der
Zwischenzeit hatte Harry sein Versprechen von wegen einiger weniger Worte schon
gebrochen. Stattdessen nutzte er seine Ankündigung als Sprungbrett für
ausufernde Volksreden. »Anlässlich dieser doppelten Vereinigung«, sagte er laut
über das Stimmengewirr hinweg, »möchte ich noch einige Worte des Dankes
loswerden. Dieser Tage hört man immer wieder, dass das Konzept von Familie in
unserer schnelllebigen Welt keinen Platz mehr habe. Doch vom ersten Tag an, als
Bel mich gebeten hatte, mich der von ihr gegründeten Theatergruppe
anzuschließen, ist diese genau das für mich gewesen - eine Familie. Und mir
wurde bewusst, was eine Familie sein kann. Da ich
einer typischen Mittelklassefamilie entstamme, >petit bourgeois<, wie
man so schön sagt, hatte ich eine ziemliche schlechte Meinung von ...«
Aus dem
leeren Teller, in dem mit dem Gesicht nach unten sein Kopf lag, hörte ich Frank
sagen, dass er das nicht mehr lange aushalte.
»...
erkannte ich, dass die Familie etwas Politisches, etwas radikal Politisches
sein kann, eine Kraft, die gegen die herrschenden Gruppen unserer Zeit wirken
kann, ein Freiraum, wo unterschiedliche Meinungen zusammenkommen und neue
Bündnisse eingegangen werden können - wie jenes, das ich das Glück hatte, heute
Abend eingehen zu können ...«
Ich kippte
mein gerade nachgeschenktes Glas Rioja hinunter und spürte, dass mir der kalte
Schweiß ausbrach und sich meines Körper bemächtigte wie eine Art Gewebebrand. Man kann
das Leben ja nicht einfach anhalten. Das hatte Mirela in jener Nacht in
Franks Wohnung gesagt. Das Leben würde sich immer weiter von einem selbst
entfernen und schließlich in deine Vergangenheit eindringen und auch sie
verändern.
»... wurde
mir klar, dass der freie Markt an sich - genau wie
eine Waffe - nicht gut oder schlecht ist. Wir können ihn für einen guten Zweck
einsetzen, wir können uns mit ihm verbünden. Und so wie wir gewachsen sind, ist
auch Amaurot mit uns gewachsen ...«
Inzwischen
schwang ja jeder nur noch Reden! Mir war, als vollführte er einen Totentanz,
als hüpften er und die Kräfte des Marktes, er und die Abwickler von Industrien,
er und die Golems des Fortschritts auf unserem Grab herum. Aber niemand tat etwas,
niemand trat ihm entgegen oder forderte ihn heraus, niemand sagte, das stimmt
nicht, das Zeug, das du da redest, das ist Unsinn...
» ... muss
man für ein Haus, das von seiner eigenen Geschichte niedergedrückt, von ihr
erstickt wird, wieder einen strukturellen Kontext herstellen, man muss es
wieder ausjustieren auf die Moderne
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