Murray, Paul
Schwung ihrer Wangen, die
berückende Naivität, die so verführerisch mit ihrer Schönheit turtelte. Und
dann der Name, Laura: Elegance noire. Namen
waren wichtig, man musste nur ihre Bedeutung herausarbeiten können. Ich schloss
die Augen und ließ die berühmte Szene aus dem Film ablaufen - aus Laura, versteht
sich: Der Detective verbringt die Nacht in ihrer Wohnung. Er liest ihre Briefe
und ihr Tagebuch, riecht ihr Parfüm, schaut sich ihre Garderobe an, trinkt
ihren Scotch, immer unter den wachsamen Augen ihres Porträts an der Wand, zu
dem die Kamera immer wieder zurückkehrt. Sie ist schon tot, als der Film
beginnt, getroffen von zwei vollen Ladungen mitten ins Gesicht. Es ist das
Porträt, in das sich der Detective verliebt. Tierney hatte ihre Zweifel, was
die Rolle betraf. »Wer will schon ein Gemälde spielen?«, hatte sie gesagt. Aber
auch die Zuschauer verliebten sich in Laura und machten einen Star aus ihr. Und
entgegen ihrer eigenen Meinung schien die Rolle wie maßgeschneidert für sie:
ein märchenhafter Schatten, der wie Rauch über den Intrigen und Obsessionen
ihrer Liebhaber schweben konnte; er hing sozusagen zwischen den Dachbalken, in
den Ritzen zwischen Leben und Tod, selbst dann noch, als im wirklichen Leben
Ehe und Verstand schon kränkelten. Das »GET-Girl«, das mit sechzehn aus dem
Schweizer Internat zurückkehrte und das Elternhaus gepfändet vorfand, das 1958
in New York im dreizehnten Stock auf einem Fenstersims stand und trotz seiner
benebelten Sinne registrierte, dass die Wohnung gegenüber Arthur Miller und
dessen neuer Frau Marilyn Monroe gehörte, und das in letzter Minute der Gedanke
quälte, dass sie eine doch recht hässliche Leiche abgeben würde...
Wenigstens
fünf Minuten waren vergangen, und von meiner Laura, der echten Laura, noch kein
Lebenszeichen. Ich ging zur Tür und schaute in den pechschwarzen Gang. Nicht
das Geringste zu sehen. War sie noch im Bad? War sie irgendwo umgekippt? Oder
... Ich musste daran denken, wie sie Frank angemacht hatte. Hatten die beiden
sich in irgendeine Ecke verdrückt? Und dann bekam ich es mit der Angst. Ich sah
sie vor mir, wie sie im Laderaum des verrosteten weißen Lieferwagens Franks
Kaminsims entgegenschaukelte...
Blind
eilte ich in durch den dunklen Gang Richtung Treppe. Plötzlich schoss eine Hand
aus einer Türöffnung, packte mein Handgelenk, und noch bevor ich sie darauf
hinweisen konnte, dass wir uns im falschen Zimmer befanden, küsste sie mich. Es
handelte sich nicht um die Sorte Kuss, die man freiwillig beendete, vielmehr
verschwand exakt in der Sekunde, als ihre Lippen die meinen berührten alles - absolut
alles - aus meinem Kopf. Ein Kuss, in dem man versank, zart und
verwirrend wie ein Wirbel Schneeflocken. Und während sie so fröhlich auf mich
herabschwebten, schienen sie mir zuzuflüstern, ich solle nicht verzweifeln,
egal, was heute Abend passiere, es würde immer alte, aus Stein erbaute Häuser
und lange, nachschwingende Küsse geben, Dinge, die auf ewig neben der wankelmütigen
Welt existierten, Dinge, dir zu mir gehörten.
»Laura«,
säuselte ich ihr schmachtend in die Wange. »Laura...«
Sofort
veränderte sich etwas, und zwar deutlich spürbar. Unsere Hände hörten
augenblicklich auf, sich zu bewegen. Wie erstarrt standen wir da, die
angespannte Stille schien eine Ewigkeit zu dauern...
»Charles?«
»Allmächtiger!«
»Nimm die
Finger weg!«, kreischte Bel, schlug meine Hand von ihrem Oberschenkel und stieß
mich so heftig zurück, dass ich stolperte und mit dem Kopf gegen den Türpfosten
knallte. »O Gott, ist alles okay?« Sie streckte mir die Hand entgegen, erinnerte
sich jedoch daran, wie entsetzt sie war, und stieß mich wieder zurück. »O Gott,
o Gott...«
»Au.« Ich
rappelte mich vom Boden auf, massierte meine Beule und versuchte wieder einen
klaren Kopf zu bekommen.
»O Gott
... Charles. Das ist ja ... eklig.«
»Ich
glaube, ich habe ein Aneurysma«, sagte ich japsend. »Ruf den Notarzt, Bel...«
»Raus, Charles,
verschwinde!« Sie zog an ihren Haaren und stampfte mit den Füßen auf. »Würdest
du bitte verschwinden ... bitte!« Sie war drauf und dran, in Tränen
auszubrechen. »Kapierst du nicht, wie eklig das ist?«
»Was gibst
du mir die Schuld«, sagte ich. Langsam war ich beleidigt. »Du hast mich doch
hier reingezerrt, du hast mich quasi missbraucht...«
»Das ist mein Zimmer,
Charles, ich dachte, du wärst Frank, was glaubst du denn?«
»Wie
kannst du mich bloß mit Frank
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