Murray, Paul
piesacken, Charles.«
»Master
Charles hat Recht«, sagte sie ergeben. »Meine Söhne sind Dummköpfe. Sie wollen
mir helfen, und jetzt Sie haben herausgefunden, und ich muss alles erzählen.«
»Fangen
wir damit an, was sie mit meinem Klavier wollten.«
»Bitte,
Master Charles. Jetzt, wo Sie alles wissen, ich verliere vielleicht Arbeit, und
Sie mich wegschicken. Das ist Ihre Entscheidung. Trotzdem ich bin sehr
glücklich, dass wir alle vier sind zusammen. Aber Sie müssen hören die ganze
Geschichte, von Anfang an.« Sie seufzte, als wäre sie am Ende einer langen, beschwerlichen
Reise angekommen und wüsste, dass sie nie wieder zu einer aufbrechen würde.
Laura kam
mit einem Tablett voller Teetassen herein und bot reihum mit ohrenbetäubendem
Bühnenflüstern - »Tee? ... Tee?«- jedem
eine Tasse an. »Schon als der Krieg anfängt«, sagte Mrs P, »war die Familie
getrennt. Die Jungen waren in Belgrad und wir in der Krajina. Und dann, im
Krieg...« Sie machte eine Handbewegung, als ließe sie etwas auf den Boden
fallen. »... ist nur noch Chaos. Freunde, Familie, alle sind woanders, an
tausend verschiedenen Orten. Die Männer, die uns beschützen, müssen fliehen.
Es wird sehr gefährlich, und wir müssen auch fliehen. Ich weiß nicht, wo meine
Kinder sind. Tot oder lebendig, ich weiß nicht.« In einer einzigen schnellen
Bewegung fuhren ihre Hände in die Höhe und fielen wieder herunter.
»Warum
haben Sie uns nichts davon erzählt?«, fragte Bel und strich ihr über den Arm.
»Wir hätten Ihnen vielleicht helfen können. Mutter kennt viele Leute...«
»Weil es
nicht aufhört.« Verzweifelt fuhr sich Mrs P mit der Hand über die Augen. »Es
war nicht vorbei. Wenn man nichts weiß, das ist wie harter Knoten in mir. Ich
klammere mich daran, ganz fest. Ich komme hierher, ich finde Arbeit, ich warte.
Nur wenn ich still bin, die Verbindung mit damals ist noch da. Wenn ich
spreche, dann ich glaube, die Zeit, das Leben damals ist vorbei. Aber in der
Stille, dann ich bete und weiß, dass sich immer noch was ändern kann. Ich
warte, ich schreibe Briefe, ich höre Geschichten von Leuten, die verschwunden
sind und dann wie ein Wunder wieder auftauchen. Und sie erzählen viele Geschichten,
schlimme Geschichten.«
Sie
verfiel in ernstes Schweigen. Vuk und Zoran grinsten verständnislos. Frank
fluchte, als ihm ein Jaffa Cake in den Tee fiel.
»Schließlich
ich sie habe gefunden, sie sind in verschiedenen Ländern«, fuhr Mrs P fort.
»Ich schicke Geld, und sie kommen alle hierher. Alles geheim, wenn man sie
findet, sie werden zurückgeschickt. Aber wir haben Glück. Die Bauarbeiter sind
freundliche Menschen, sie helfen uns mit Essen, helfen uns mit Papieren, sie
machen, dass der Turm warm ist, und sagen nichts zu Ihnen. Ich bin nicht stolz,
dass ich Sachen stehle von Ihnen, dass ich Sie anlüge. Und immer denke ich,
können Sie das verstehen? Andere Sachen sind nicht so, sie fangen an und hören
irgendwann auf. Aber wenn die Heimat weg ist, wenn sie einfach weg ist von
Landkarte, dann...«
»Moment
mal.« Die Stimmung war natürlich sehr emotional, und ich wollte sie auch nicht
unterbrechen, aber ich hatte im Kopf schon mehrmals nachgerechnet und kam immer
noch zu keinem logischen Ergebnis. »Wie viele sind denn nun hier?«
»Mirela,
mein Tochter, schläft gerade. Sie ist krank, sie braucht viel Ruhe.«
»Oh.« Ich
stand langsam auf. »Sie schläft?«
»Ja, im
Turm.« Mrs P nickte.
»Erzählen
Sie weiter«, forderte Bel sie auf. »Was wollten Sie sagen? Was ist, wenn die
Heimat weg ist?«
»Es hört
nie auf, weil, wenn der Boden weg ist, auf dem man geht, dann fällt man und
fällt...«
»Entschuldigt
mich einen Moment...« Niemand achtete auf mich, als ich mich verdrückte. Ich
schloss die Tür hinter mir, sprang die Stufen hinunter und sprintete über den
nassen Rasen. Ein wütendes Grollen im Osten kündigte einen Sturm von See an.
Streng und düster tauchte der Turm aus der Nacht auf.
Die Bombe
war genau da, wo MacGillycuddy gesagt hatte. Sie ähnelte trügerisch der Marke
Eigenbau, ein aus Füllstoff und Klebeband zusammengefummeltes Bündel, das
zwischen zwei Steinen des Fundaments klemmte. Laut Zifferblatt blieben noch
dreizehn Minuten. Wenn ich mich sputete, blieb ausreichend Zeit, um diese
verdammte Tochter aus dem Turm zu schaffen und mich selbst aus dem Staub zu
machen, bevor alles in die Luft flog.
Die Tür
war ein Loch in der Wand. Die Stützpfosten waren mit Plastikband umhüllt, das
ratternd im
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