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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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kläglich.
    »Armer Hund.« Der Mann geht neben den beiden Frauen in
die Hocke. Der Hund freut sich über die Zuwendung, sein Blick wandert zwischen
den dreien hin und her, und sein Schwanz klopft matt auf den Boden. »Er muss
zum Tierarzt«, sagt der Mann. Sie beraten darüber, wie der Hund am besten
hochzuheben sei. Vielleicht könnte man ein Tuch darunterschieben, als eine Art
Hängematte? Da ertönt in der Nähe ein schriller Schrei. Die kleine Tochter der
Frau steht wie erstarrt an der Gartentür.
    »Geh rein, Alice«, befiehlt die Frau.
    »Polly!«, ruft das Mädchen.
    »Geh rein«, wiederholt
die Mutter, aber das Mädchen stürmt los, und als es bei ihnen anlangt, ist es
bereits in Tränen aufgelöst. »Polly! Polly!« Der Hund hechelt und leckt sich
die Lefzen, als wollte er das Kind beruhigen.
    »Schsch, Alice ... Alice.« Die Frau richtet sich halb
auf; der ganze Kopf des weinenden Mädchens läuft rot an und wird zu einem
einzigen riesigen Mund. »Schsch ...« Die Frau drückt ihn an sich, und die
kleinen Hände klammern sich an ihren Rock. Sanft führt sie ihre Tochter zum
Haus zurück. »Na, komm ... das wird schon wieder ...«
    Halley lässt abwesend ihre Fingerspitzen auf dem
Asphalt kreisen, während der Mann den Tierschutzverein anruft. Die Frau kommt
mit einem zusammengeknüllten weißen Laken zurück.
    Sie wartet, bis der Mann das Gespräch beendet hat, dann
heben sie den Hund zu dritt hoch und tragen ihn an den Straßenrand. Er muss
nicht mehr zum Tierarzt. Sie breiten das Laken lose über ihn.
    »Es tut mir so leid«, sagt Halley immer wieder flehend.
    »Ich wollte schon lange etwas wegen der Tür
unternehmen«, sagt die Frau verstört. »Wahrscheinlich hat der Briefträger sie
offen gelassen.«
    Der Mann legt ihr die Hand auf den Arm und sagt, so
etwas passiere nun mal. Halley wünscht sich sehnlichst, er möge es auch zu ihr
sagen, aber er tut es nicht. Die drei tauschen ihre Telefonnummern aus, als
wäre noch ein weiterer Akt des Dramas zu erwarten. »Ich wohne hier gegenüber«,
sagt Halley sinnloserweise zu der Frau. Dann steigt sie wieder ins Auto und
fährt das kurze Stück zu ihrer eigenen Gartentür. Von drinnen späht sie durch
die Vorhänge: Die Frau, mit Tränenspuren im Gesicht, wacht an der Ecke noch
bei dem Bettlaken, unter dem die Pfoten des Hundes hervorschauen, ordentlich
zwei und zwei. Der andere Retriever liegt in ihrem Garten im Gras, die Schnauze
kläglich durch das Gitter geschoben, und im ersten Stock steht das kleine
Mädchen an einem Fenster, die Hände an die Scheibe gedrückt, lautlos weinend.
    Halley zieht die Vorhänge zu und kauert sich in die
Sofaecke. Das Telefon zeigt blinkend immer neue Anrufe an, und auf dem
Bildschirm ihres Computers schwimmen virtuelle Fische hin und her. Zum ersten
Mal, seit sie in Irland ist, wünscht sie sich vorbehaltlos, sie wäre zu Hause.
Es kommt ihr vor, als sei ihr ganzes Leben hier auf diesen Punkt zugesteuert
und hätte sie zu einem Menschen gemacht, der einen Hund überfährt.
    Bald hört sie Howard nach Hause kommen. Er kündigt sich
mit einem Pfeifen an, das wie die Titelmelodie einer seichten Fernseh-Sitcom
klingt. Sie setzt sich auf und blickt in sein ahnungsloses, freundliches
Lächeln. »Und, wie war die Ausstellung?«, fragt er.
    »Was?«
    »Die Projektausstellung?«
    Die Projektausstellung! Der Gecko! Die Erinnerung an
diesen fernen Nachmittag und ihre eigene Rolle darin - wie belanglos, wie
beschissen sinnlos für jedermann! - ist Öl ins Feuer ihrer Wut. »Howard, warum
hast du den Wagen nicht zur Inspektion gebracht?«
    »Wie bitte?« Howard versteht nicht; er legt Jacke und
Mantel ab.
    »Die verdammten Bremsen sind im Arsch, Howard, ich hab
dir hundertmal gesagt, du sollst diese Scheißkarre in die Werkstatt bringen,
aber du denkst ja gar nicht dran -«
    Howard sieht sie aufmerksam an, als spräche sie in
fremden Zungen. »Das mach ich schon, wenn du das möchtest, das mach ich schon.
Was ist denn los, hat was ...?«
    In fieberhafter Hektik erzählt sie ihm von dem Hund,
der Frau, dem kleinen Mädchen.
    »O Gott ...« Er fährt ihr durchs Haar. »Das tut mir
leid, Halley.« Aber sein Mitgefühl macht sie nur noch wütender. Wieso sollte er
ungeschoren davonkommen? Ja, sie hat den Wagen gefahren, aber alles andere ist
seine Schuld! Seine Schuld!
    »Was nützt das, dass es dir leidtut? Mein Gott, Howard,
wenn mir das kleine Mädchen vors Auto gelaufen wäre! Was würdest du dann sagen?
Es tut dir leid?«
    Howard senkt

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