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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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ein Geschenk mitbringen?«
    Mario schlägt sich mit der Hand an die Stirn. »Mamma mia! Kein Wunder, dass ihr Iren bis vierzig alle noch Jungfrau seid!«
    In der Mittagspause gehen sie zum Einkaufszentrum und
besorgen ein Geschenk für Lori. Skippy opfert sein gesamtes Geld für die
zweitkleinste Schachtel Pralinen. Auf dem Rückweg sagt Dennis, der bisher
ungewöhnlich still gewesen ist: »Ich hab mal über das Gedicht von diesem Robert
Frost nachgedacht. Ich glaub, da geht es überhaupt nicht um Entscheidungen.«
    »Um was denn dann?«, fragt Geoff.
    »Um Analsex«, sagt Dennis.
    »Um Analsex?«
    »Wie kommst du denn darauf, Dennis?«
    »Na, wenn man's erst mal kapiert hat, ist es doch
sonnenklar. Guckt euch einfach an, was er da sagt. Er ist in einem Wald, richtig? Er sieht zwei Straßen vor sich. Er
nimmt die, die weniger oft
genommen wird. Was sollte
denn sonst damit gemeint sein?«
    »Äh, ein Wald?«
    »Ein Spaziergang?«
    »Hört ihr eigentlich im Unterricht nicht zu? In
Gedichten geht es nie um das, was da steht, das ist doch der ganze Witz an der
Sache. Offensichtlich wäre Mrs. Frost oder sonst wer nicht allzu glücklich,
wenn er loszöge und aller Welt erzählte, wie er es ihr von hinten besorgt hat.
Deshalb versteckt das kluge Kerlchen das in einem Gedicht, in dem es für das
ungeschulte Auge nur um einen langweiligen Spaziergang in irgendeinem schwulen
Wald geht.«
    »Aber Dennis, meinst du wirklich, Mr. Slattery würde
das mit uns durchnehmen, wenn es da in Wahrheit um Analsex geht?«
    »Was weiß der denn schon?«, höhnt Dennis. »Glaubst du,
der hätte seine Frau schon mal auf dem seltener genommenen Weg genommen?«

»Pff, wann hast du denn schon mal den
seltener genommenen Weg genommen?«, reizt Mario ihn.
    Dennis reibt sich übers Kinn. »Hm, wenn ich an diese
unvergessliche Nacht mit deiner Mutter denke ... Ich hab ihr gesagt, sie soll
aufhören!« - Er duckt sich weg, als Mario ihm eine verpassen will. »Aber sie
war unersättlich! Unersättlich!«
    Als sie wieder unter den Platanen mit der abgefetzten
Rinde durchkommen, sehen sie, dass beim Kellereingang irgendetwas los ist. Eine
Horde Jungs steht davor, über ihren Köpfen treiben Rauchschwaden. Mitchell
Gogan sieht sie kommen, löst sich aus der Gruppe der Gaffer an der Tür und
steht im nächsten Moment atemlos vor ihnen. »Hey!, Juster -«, er kann sein
Entzücken kaum verbergen, »- ist die Nummer 181 nicht dein Spind?«
    Ja, und er brennt. Skippy quetscht sich durch die
Menge, sieht Flammen aus der offenen Tür schlagen und hört das Feuer im Inneren
herrisch grollen; Funken schießen zur Decke empor und sinken wieder herab,
Rußspuren hinterlassend, wie abgeschossene Flugzeuge. Jungs gucken grinsend
zu, ihre Gesichter sind höllisch orange gefärbt; und mitten unter ihnen - den
Blick starr auf ihn gerichtet, mit Augen, die in dem gespenstischen Licht wie
Fenster eines leeren Hauses aussehen - steht Carl. Skippy glotzt entsetzt
zurück, kann nicht wegschauen. Dann ertönt hinter ihm eine raue Stimme, und Noddy
kommt aus der Menge zum Vorschein, mit dem Feuerlöscher in der Hand. Sein
knubbeliges Trollgesicht ist feuerrot. »Herrgott noch mal!«, schreit er. »Was
issn hier los?«
    Er richtet den Feuerlöscher auf sein Ziel, die Meute
stößt einen Freudenjuchzer aus und weicht zurück, als Schaumkaskaden auf die
Flammen niedergehen. In weniger als einer Minute ist das Feuer aus; die Jungs
zerstreuen sich, nur Skippy steht betreten herum, während Noddy auf der Suche
nach Resten von Glut in dem verkohlten Schrankinhalt herumstochert. »Das is
dein Spind, nich?«, raunzt er Skippy an. »Hassu da Feuerwerk drin oder Feuerzeugbenzin
oder so was?«
    Skippy schüttelt stumm den Kopf und starrt in das durchweichte
schwarze Innere des Schranks.
    »Und wie is diss dann passiert, hä?«
    Noddys ranziger Atem schlägt ihm entgegen. Durch die
giftigen Rauchschwaden sieht er Carl, der ihn regungslos wie eine Wachsfigur
beobachtet. »Ich weiß nicht.«
    »Ich weiß nicht«, äfft der Hausmeister ihn nach und wendet sich wieder
dem verwüsteten Spind zu. »Na, das Ding hier is jenfalls im Eimer - he, wo
gehssu hin, sag gefälligs wie du heißt, du ...«
    Aber Skippy hat sich schon losgerissen und ihm den
Rücken gekehrt. Ehe er es sich versieht, ist er in seinem Zimmer. Der Himmel
hinter dem Fenster sieht eiskalt aus; an dem Geschenkband um die winzige
Pralinenschachtel kleben Rußteilchen. Ohne nachzudenken, greift er nach den
Pillen - und hält inne.

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