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Murray,Paul

Murray,Paul

Titel: Murray,Paul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Skippy stirbt (Teil 2)
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gehorsam hinter ihr her, die Stufen hinauf und wieder in
ihr Zimmer.
    Diesmal umrahmt das Fenster tiefschwarze Nacht, und in
der Sekunde, bevor Lori das Licht anschaltet, blinken ihm die Sterne so
bedeutsam zu, als wollten sie ihm etwas sagen; dann zieht Lori die Vorhänge zu
und pflanzt sich vor ihm auf. Mit geschlossenen Augen steht sie da wie eine
Schlafwandlerin, den Mund leicht geöffnet, die Hände leicht erhoben. Er
versucht, sich etwas einfallen zu lassen, was er sagen könnte, bis es endlich
zu ihm durchdringt, was die geschlossenen Augen zu bedeuten haben. Mit einem
Mal ist es, als ob in seinem Inneren ein verrücktes Kirmesorchester einsetzt;
sämtliche Instrumente spielen im falschen Tempo und in der falschen Tonart,
alles wirbelt durcheinander und überschlägt sich, während es doch rings um ihn
im Zimmer so ruhig ist, nicht einmal der Wind ist durch die Doppelfenster zu
hören, und Lori steht so still da, die Lippen geöffnet. Er beugt sich zu ihr,
und ihr Mund dockt sich an seinen an, wie das Viech in Alien, das sich an seinen Wirt ansaugt. Aber er bekommt die Stimme in der
Gegensprechanlage nicht aus dem Kopf. War das derselbe, der vorher angerufen
hat? Der, mit dem sie sich auf der Straße herumgetrieben hat? Er schlägt die
Augen auf und sieht in ihre, die leuchtend grün auf ihn gerichtet sind, ganz
nah wie Planeten, die das Sichtfenster von Raumschiff Enterprise ausfüllen. Jetzt macht Lori die Augen zu, ihre Brauen
kräuseln sich kurz - er macht ebenfalls die Augen zu. Sie nimmt seine Hand und
schiebt sie sich unters Hemd. Seine Hand schließt sich um ihre Brust und drückt
sie - fest? sanft? - durch rauen Synthetikstoff. Sie gibt kleine, gepresste
Laute von sich, ihre Zunge leckt an seiner. Warum ist er nicht glücklich? Warum
fühlt es sich so anders an?
    Ein Klopfen an der Tür. Es ist bereits vorbei. Lori
geht forsch hin, um aufzumachen. Ihre Mutter steht davor, die Hand erhoben, um
nochmals zu klopfen. »Tut mir leid, Kinder. Es ist acht Uhr.«
    »Okay«, sagt Lori. »Daniel wollte sowieso gerade
gehen.« Sie schlüpft unter dem Arm ihrer Mutter durch, und er sieht ihren
glänzenden schwarzen Haarschopf die Treppe hinunter verschwinden und hört sie
mit ihrer Mutter schwatzen, als wäre überhaupt nichts gewesen.
    In der Küche legt Loris Dad seinen PalmPilot weg und
steht vom Tisch auf. »Hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen, Dan.« Er hält
ihm die Hand hin. »Mach ihnen ordentlich die Hölle heiß bei dem
Schwimmwettkampf, okay? Zeig ihnen, aus welchem Holz wir vom Seabrook College
geschnitzt sind.«
    »Wird gemacht«, sagt Skippy.
    Lori schlängelt sich zu ihm durch und nimmt seine Hand.
»Danke, dass du zu mir gekommen bist«, sagt sie. »Danke auch«, sagt Skippy
sinnlos.
    »Hast du Lust, irgendwann mal wieder was zu
unternehmen?«
    »Willst du denn?« Das überrascht ihn.
    »Klar«, sagt sie und schwingt seine Hand ein bisschen
hin und her.
    »Gott, sind sie nicht einfach süß, die zwei!«, quäkt
ihre Mutter mit Kleinmädchenstimme.
    »Vielleicht können wir ja was für Freitag ausmachen?
Ich habe ja jetzt keinen Hausarrest mehr« - sie sieht zu ihrem Vater hin, der so tut, als wäre er völlig
von seinem PalmPilot in Anspruch genommen.
    »Wir könnten ins Kino gehen«, schlägt er vor.
    »Klar, und danach vielleicht noch ein Eis essen«, sagt
sie.
    »Ist das niedlich!«, ruft Loris Mum aus und presst die Hände auf die Wangen.
»Ich kann gar nicht mehr hinsehen, es bringt mich um!«
    »Mom«, Lori wird rot, muss aber doch grinsen und blickt auf ihre Schuhe.
Skippy grinst ebenfalls, ohne zu wissen, warum. Es kommt ihm vor, als wäre er
in eine Sitcom geraten, ohne die leiseste Ahnung, an welcher Stelle im Skript
sie gerade sind. Wenn er einfach weiterlächelt, bemerkt es vielleicht niemand.
Vielleicht war ja gar nichts verkehrt - vielleicht sind zweite Küsse immer anders
als erste.
    Sie bringt ihn noch zur Tür.
    »Vielen, vielen Dank fürs Herkommen«, sagt sie noch
einmal. Das warme Licht vom Eingang umrahmt sie, als wäre sie eine
Spielzeugfee.
    »Hat Spaß gemacht«, sagt er. Er steht jetzt draußen,
auf den Steinplatten, und spürt die Kälte, die mit allem, was warm in ihm ist,
davonhuscht, hungrigen Kobolden gleich, die unversehens auf eine schutzlos
zurückgelassene Bäckerei gestoßen sind.
    »Na, ich geh dann mal lieber und mach mich an die
Hausaufgaben«, sagt sie.
    »Okay«, sagt Skippy. »Tschüss.«
    »Tschüss.«
    Die Tür schließt sich. Er geht zu seinem

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