Murray,Paul
ausbreiten.
Er weiß, wonach es dich verlangt, Jerome. Er bebt jedes
Mal, wenn du ihn ansiehst. So außerordentlich schön, so hungrig nach Liebe.
Den
Teebeutel mit dem Löffel herausfischen, ein bisschen Milch dazugießen, nur
einen Spritzer, aus dem kleinen Karton.
Du zeigst ihm, wie man die Geschenkkörbe packt, wo
jeder Gegenstand hingehört. Er kniet hier auf dem Boden, arbeitet schweigend,
während du die Kontoauszüge durchgehst. Dann streichst du ihm geistesabwesend
durchs Haar. Er erhebt keinen Einspruch, keine Beschwerde. Nein, er legt ganz
langsam seinen Kopf an deinen Schenkel, du siehst, wie seine Wimpern sich
flatternd schließen - und dann fickst du ihn in seine kleine Rosenknospe,
fickst ihn, hier auf dem Schreibtisch!
Die Tasse
kippt um, Tee läuft über den Lack und durchsuppt die Briefe seiner
Gemeindemitglieder -
Ha, ha, ha, ha!
Und die
Luft ist erfüllt von dem sengenden Wind, dem wilden Aufruhr der Fleischeslust:
animalischer Schweiß, der Gestank ungewaschener Lenden, weiße Augäpfel auf
dich gerichtet, während schwarze Arme träge an die Wände der Kirche hämmern,
dieser winzige Vorposten von Sitte und Anstand, so lächerlich schwach in der
gnadenlosen Hitze -
Wie sehr dir das fehlt, Jerome. Die
Stimme, die altbekannte, so nah jetzt, dass ihre Worte und seine eigenen
Gedanken kaum mehr zu unterscheiden sind. Warum verleugnen, was das Herz dir sagt? Warum dir das
Leben versagen?
Die Hitze!
Da spürt er sie wieder, als wäre er schon in der Hölle! In Wellen bricht sie
sich Bahn in seine Blechhütte, die ganze Nacht hindurch; Träume und Wüste
verschmelzen zu einem wahnwitzigen Karussell, schweißgetränktes Bettzeug, und
er mit der kalten Klinge an seinem Fleisch, fleht mit Tränen in den Augen zu
Gott um die Stärke, es zu tun, sich ein für alle Mal von dieser ewig blühenden
Wurzel des Bösen, dem Blitzableiter für alles Ruchlose, zu befreien -
Aber du hast es nicht getan.
Nein, das
hat er nicht - konnte es nicht!
Weil du um die Wahrheit wusstest.
Er konnte
nur aus Afrika fliehen und die Tür vernageln, die Tür vor den Erinnerungen an
jene Flammen des Verlangens und daran, wie sie gelöscht wurden! Und kein Tag
seither, an dem er die Tür nicht hat klappern hören!
Öffne sie, Jerome.
Hat er
nicht gebetet, sie soll Ruhe geben? Hat er nicht darum gebetet, geläutert zu
werden? Hat er Gott nicht angebettelt, ihm das Licht zu zeigen, ihn zur Tugend
zu führen? Und doch ist da nichts als Verlangen, Versuchung, der Teufel,
glitzernd in jedem Körnchen Sand, lockend aus jedem Paar voller, blutroter
Lippen, und, Herrgott, nicht ein einziges Mal, nicht der geringste Schimmer
Seiner Gegenwart, nicht das leiseste Anzeichen in einem Traum, nicht ein
einziges Mal in beinahe siebzig Jahren!
Du wusstest, dass niemandem Auge darauf hat.
Wie soll
ein Mann diesen Kampf gewinnen? Wo soll er die Kraft dazu finden?
Die Stunde ist da, Jerome. Das ist mein letztes
Geschenk für dich. Noch einmal einen Körper an deinem spüren. Liebe. Und
danach, vielleicht, Friede.
Aus dem
Flur hört er eine Glocke, Türen öffnen sich, tausend junge Schritte eilen in
die Freiheit.
Der Weg
durch den Flur zum Arbeitszimmer des Paters ein Kampf, jeder lorilose Schritt
fühlt sich an, als würdest du in kleine, dünne Streifen geschnitten. Du holst
das Handy heraus. Es glotzt dich an, leer und gelassen. Du stellst dir vor, du
bist bei ihr und erzählst ihr, was Dad gesagt hat, erzählst ihr vielleicht
alles, sie hat freundliche, kluge Dinge dazu zu sagen. Ist doch nur ein
Schwimmwettkampf, Daniel, keine große Sache. Hey!, D, mach dir keine Sorgen,
alles wird gut. Du stellst dir vor, sie ist bei dir, ein Verband über einer
Wunde.
WO BIST DU?
Du
schreibst den Text und löschst ihn wieder, du hast schon zwei Mal auf die
Sprachbox gesprochen; es gibt Regeln bei so was, du willst nicht verzweifelt
wirken. Aber du bist verzweifelt! Und die ungesendete Nachricht
WO BIST DU WO BIST DU?
quält
dich, springt in dir herum wie ein glühend heißer Tischtennisball. Du gehst
runter in den Keller, vorbei an Ruprechts Labor. Stille hinter der Tür zum Büro
des Paters. Dann, ganz komisch, als hättest du plötzlich einen Röntgenblick,
glaubst du ihn auf der anderen Seite warten zu sehen, eine Gottesanbeterin, in
regloser Haltung. Du klappst noch mal dein Handy auf. Scheiß drauf! Tippst die
Nachricht ein und schickst sie ab:
WO BIST DU?
Du klopfst
an die Tür.
»Herein«,
erwidert die
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