Murray,Paul
dass an Samhain all diese seltsamen Wesen, die unter uns lebten, aber für
uns die meiste Zeit unsichtbar waren, sichtbar wurden und das Land
durchstreiften.«
»Und
wo sind sie dann hin?«, will Vince Bailey wissen.
»Wer?«
»Die
Götter, die Elfen, oder wer immer sie waren.«
»Tja,
ich weiß nicht ...« Darüber hat Miss Ni Riain nie nachgedacht.
»Vielleicht
wurden sie von einem Meteor getroffen«, meint Niall Hinaghan. »Wie die
Dinosaurier.«
»Vielleicht sind sie ja immer noch da«, mutmaßt eine Zombiestimme.
»Geoff,
ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst nicht mit dieser Stimme reden.«
» Entschuldigung.«
»Wie
auch immer, nichts von alledem bringt uns dem Verständnis des Modh
Coinniollach näher. Wo waren wir stehen geblieben?« Miss Ri Niain wendet ihre
Aufmerksamkeit dem Grammatikbuch zu - doch in diesem Moment klingelt es. Schulschluss!
Die Jungen springen auf; die Lehrerin lächelt betrübt, weil sie merkt, dass sie
an der Nase herumgeführt wurde. »Also gut. Schöne Ferien, Jungs. Und viel Spaß
bei dem Tanz heute Abend.«
»Frohes Halloween, Miss!«
»Frohes Halloween.«
»Frohes Halloween ...«
»Geoff,
zum allerletzten Mal...« Sie verstummt. Geoff hat bereits den Raum verlassen.
Abgesehen
von der kleinen Schar, die zwischen dem Kunsterziehungsraum und der Turnhalle
hin und her läuft, auf den Armen Haufen schwarz gefärbten Netzstoffs,
Pappmascheetotenköpfe und teilweise ausgehöhlte Kürbisse, in denen noch
Universalmesser stecken, ist die Schule um vier Uhr nachmittags ausgestorben.
Zumindest scheinbar; unter der oberflächlichen Leere ächzt die Luft unter der
Last vorweggenommener Freuden: Die Stille kreischt, der Raum vibriert von
Erwartungen, die so intensiv und fieberhaft sind, dass sie hier, auf den
verwaisten Fluren, Wirklichkeit zu werden drohen. Unterdessen ballen sich über
dem alten steinernen Campus düstere graue Wolken zusammen, grollend von ihrer
eigenen aufgestauten Energie.
Obwohl
die Sonne noch nicht ganz untergegangen ist - und obwohl es für den Rest der
Welt natürlich erst fünf Tage später stattfindet -, ist Halloween in einem
oberen Stockwerk schon in vollem Gang. Im gotischen Ambiente des
Aufenthaltsraums der Unterstufe wimmelt es von Bettlakengespenstern, Vampiren
mit Plastikzähnen, rotgesichtigen Osama bin Ladens und Jedi-Rittern in
bodenlangen Gewändern. Frankensteins Monster bringt Victor Hero (verstorben)
Quetschungen bei, zwei unvollständig gewickelte Mumien zanken sich um die
letzte Rolle Klopapier, der Scarlet Pimpernel heckt mit dem Grünen Kobold den
Plan aus, mit dem gefälschten Ausweis vom Bruder des Kobolds einen Drink zu
kaufen. Hier und da stehen Interne aus den höheren Klassen herum, die noch
darauf warten, abgeholt zu werden; sie schauen verächtlich und machen
sarkastische Bemerkungen. Aber die Jungen hören es kaum, sie sind ganz mit den
Vorbereitungen und ihren Kostümen beschäftigt, in denen sie sich offenkundig bedeutend
wohler fühlen als in den ungeliebten Schuluniformen.
Als
die letzten Sonnenstrahlen erlöschen, schaudert die Luft und zieht sich
fröstelnd in sich selbst zurück. Im Fenster sieht man die ersten
Autoscheinwerfer auf der Allee; von jenseits der Tennisplätze blinkt eine
Prozession anderer Scheinwerfer herüber. Ein Elf und jemand, der einem
kleinwüchsigen Physiklehrer ähnlich sieht, kommen eilig aus ihrem Zimmer und
klopfen drei Türen weiter an.
»Ja?«
Dennis macht die Tür einen Spalt auf.
»Seid
ihr fertig?«
»Ich
schon, aber ich warte noch auf Niall.«
Auf
dem Gang erscheint fingerschnipsend Mario in einer braunen Lederjacke, mit
tiefschwarzer Sonnenbrille und einer glitzernden Patina aus Gel in den Haaren.
»Na,
Mädels, seid ihr zu allen Schandtaten bereit? Wird langsam Zeit.«
»Als
was gehst denn du? Als Fonzie?«
»Ich
gehe als der berühmte Frauenheld Mario Bianchi«, sagt Mario und lässt seinen
Kaugummi schnalzen. Dennis verdreht nur die Augen.
»Wonach
riecht's denn hier, verdammt noch mal?« Ruprecht hält sich mit seinem
Tweedärmel die Nase zu.
»Das,
mein Freund, ist Aftershave. Eines Tages, falls du jemals anfängst, dich zu
rasieren, und keine Schwuchtel mehr sein willst, wirst du vielleicht auch eins
benutzen.«
»Das
riecht, als wärst du gepökelt«, sagt Ruprecht.
Mario
kaut unbeirrt seinen Kaugummi und fährt sich mit der Hand durchs schleimige
Haar. »Also, worauf warten wir noch?«
»Niall«,
sagt Dennis, der sich immer noch halb hinter der Tür
Weitere Kostenlose Bücher