Murray,Paul
zweifellos einiges über das Wesen des
Verlangens und seine Bereitschaft aussagt, sich mit dem vorhandenen Material
zu begnügen. Mit der Ankunft von Miss Mclntyre ging diese Illusion jedoch in
die Brüche, und Irisch ist jetzt nur noch ein weiteres langweiliges Fach, mit
dem man sich abquälen muss.
Es
gibt jedoch Möglichkeiten, die Qual zu lindern. Mitten in einer
sterbenslangweiligen Folge von Fragen und Antworten über den Modh Coinniollach,
den notorisch schwierigen Konditionalis des Gälischen, meldet sich Casey
Ellington. »Miss?«
»Ja,
Casey?«
»Ich
hab gehört, dass Halloween ursprünglich in Irland entstanden ist«, sagt Casey
mit zerfurchter Stirn. »Das kann doch nicht stimmen, oder?«
Der
Name des Jungen, der als Erster dahinterkam, dass Miss Ni Riain ein paar
Semester irische Volkskunde studiert hat, verliert sich im Dunkel der
Geschichte, aber die Ruhmestat wirkt bis in die Gegenwart fort. Eine einzige
geschickt formulierte, wohlplatzierte Frage kann manchmal eine ganze
Schulstunde sprengen.
Halloween,
erfährt Casey Ellington, leitet sich unmittelbar von dem keltischen Ritus
Samhain her. In grauer Vorzeit war Samhain - auch bekannt als Feile Moingfhinne
oder das Fest der Weißen Göttin - eines der wichtigsten Feste. Es wurde Ende Oktober
gefeiert und markierte das Ende eines Kirchenjahres und den Beginn des
nächsten: eine verzauberte Zeit, in der die Tore zwischen dieser Welt und der
Anderswelt geöffnet und uralte Mächte auf das Land losgelassen wurden.
»Anderswelt?«
Diesmal hebt Mitchell Gogan die Hand.
»Eine
beherrschende Rolle in der irischen Mythologie spielt die geheimnisvolle
übernatürliche Rasse der Sidhe«, sagt Miss Ni Riain. »Die Sidhe bewohnten eine
andere Welt, die zwar im selben Raum existierte wie unsere, von Menschen aber
nicht wahrgenommen werden konnte. Sidhe wird normalerweise mit Feen übersetzt, aber diese Feen
hatten keine hübschen Flügel oder kleine rosa Röckchen, und sie umschwirrten
auch keine Blütenblätter. Sie waren größer als die Menschen und berühmt für
ihre Grausamkeit. Sie blendeten Männer, stahlen Neugeborene und verhexten aus
Jux ganze Viehherden, sodass die Tiere nicht mehr fraßen und verendeten. Es
galt als Unglücksbringer, auch nur ihren Namen auszusprechen. Am Abend des
Samhain wurden alle Feuer gelöscht und die Eingänge zu den Grabhügeln, in denen
sie vermeintlich lebten, bis zum nächsten Hahnenkrähen offen gelassen.«
»Die
haben in Grabhügeln gewohnt?«, fragt Neville Nelligan, der sich nicht mehr
sicher ist, ob das Ganze Zeitverschwendung ist oder ob es ihn am Ende doch
interessiert.
»Sie
haben die Erdbauten bewohnt, an Flüssen, unter bestimmten Bäumen, in
unterirdischen Höhlen. Außerdem lebten sie in über das Land verstreuten
Grabhügeln. Ursprünglich bezeichnete das Wort Sidhe diese Hügel, die von einer
älteren Kulturjahrtausende zuvor errichtet wurden. Später stellten die Menschen
sie sich als Paläste vor, die den Feen gehörten und ihre Welt mit unserer
verbanden. Es gab Sagen über Männer, die in der Nähe eines dieser Hügel
einschliefen und nach dem Aufwachen die Gabe der Poesie oder des
Geschichtenerzählens besaßen oder aber eine Tür in der Hügelflanke entdeckten
und den Weg zu einem unterirdischen Festplatz fanden - immer mit wunderschöner
Harfenmusik, üppigen Speisen und schönen Mädchen -, nur um am nächsten Morgen
auf dem Hügel zu erwachen, der gar keine Tür hatte, und in ihr Dorf
zurückzukehren, wo sie jedoch feststellten, dass hundert Jahre vergangen waren
und alle, die sie gekannt hatten, längst tot waren.«
Vielleicht
ist es das düstere Wetter, der öde Wind und das knochentrockene Rascheln des
herabgefallenen Laubs draußen, vielleicht auch die gesteigerte Sensibilität
wegen des kurz bevorstehenden Hops - jedenfalls bekommen diese Geschichten
eine geradezu greifbare Realität - man kann sie spüren, wie einen zitternden,
kummervollen Nebel, der die Luft durchzieht. »Wenn die in Grabhügeln gelebt
haben -«, Geoff wagt es kaum zu glauben, »- heißt das dann, dass die Feen untot waren?«
»Götter,
Feen, Geister, die wurden alle miteinander als Bewohner der Anderswelt
gesehen«, sagt die Lehrerin. »Ursprünglich waren die Feenmärchen vielleicht
Geschichten von weiterlebenden Toten, die in ihren Grabkammern Feste feiern.
Oder eine Erklärung dafür, was mit diesen früheren, präkeltischen Kulturen
geschehen war, die inzwischen verschwunden waren. Aber der springende Punkt
ist,
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