Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Andi, wie kann man nur um die Tageszeit schon so beseelt sein.
Schon? Na, ich bin es wohl einfach immer noch.
» Guten Morgen, Andi.« Jana schmunzelt herzlich.
Die nebeligen Schwaden des Morgendunstes verziehen sich nur langsam, als wir zur Tempelanlage Banteay brei fahren, der 35 Kilometer entfernten »Zitadelle der Frauen«. Die wurde 1931 in Angkor Wat als Erstes renoviert. Na klar, ladys first .
Wir passieren den Zugang und treten ein ins 9. bis 13. Jahrhundert, ins historische Zentrum des Khmer-Königreiches. Zwischen den riesigen Bauklötzen schaue ich mich wissend um.
» Die filigranen Sandsteinreliefs sind Meisterwerke der Khmer-Kunst«, raunt Walter.
» Einverstanden. Aber warum flüsterst du?«
» Um die Geister der Vergangenheit nicht zu wecken!«
Er hätte seine Augenbrauen gar nicht so ruckartig hochziehen müssen. Ich hätte ihn auch so nicht ernst genommen.
» Sicher, Walter, die wollen ja auch mal auspennen.«
Die Reliefs sind fortlaufende Bilder an den Wänden, die man sich vereinfacht als Comics vorstellen kann. Nur eben mit Lotos-Ladys statt Micky Maus, und ohne Sprechblasen, natürlich. Das wäre ja Mumpitz.
» Es geht um Gut gegen Böse, um Liebe und Hass!«, erklärt Walter und deutet mit dramatischen Gesten auf die Zeichnungen.
Okay, also wie in einer TV -Soap.
Die Anlage füllt sich bald mit Touristen. Es sind nur wenige Europäer dabei, klar in der Mehrheit scheinen Koreaner oder Japaner zu sein. Die sind allerdings nur wegen ihrer bunten Sonnenschirmchen und der riesigen Kameralinsen als Urlauber zu erkennen.
Ich drehe mich im Kreis, um nichts zu verpassen.
Kinder verkaufen ein- und aufdringlich Bücher, Postkarten und Armreife.
» Only one Dollar! Only one Dollar!« Wie ein Mantra wiederholen sie ihr Angebot.
Und sie lassen sich gar nicht so leicht abschütteln. Antje lehnt freundlich bestimmt ab.
» Danke, nein, ich habe bereits den Angkor-Reiseführer.«
» One more? Only one Dollar!«
Das Mädchen schaut mit großen Augen treuherzig an meiner Schwester hoch.
Einige Urlauberinnen, denen die Gutmütigkeit ins Gesicht geschrieben steht, zeigen sich überfordert. Eine ältere Frau fühlt sich von zwei jungen Verkäufern umstellt, unwohl gestikuliert sie mit den Armen und quäkt lautes Deutsch.
» Hört doch auf, ich will das nicht!«
Sven signalisiert den Jungs, die die Frau lächelnd umringen, dass sie weitergehen sollen.
» Vielen Dank, junger Mann.«
Er will galant herunterspielen, dass es ihr unangenehm gewesen ist: » Vermutlich haben Sie auch in Deutschland wenig mit Kindern zu tun.«
» Ich bin Lehrerin.«
Die kleinen Händler an den Tempeln wirken sowieso schon vergnügt. Noch mehr freuen sie sich über jede Münze, die sie für ihre Artikel in die Hände kriegen.
» Walter, mir scheint, hier gibt es einen klaren Kontrast zwischen historischer Hochkultur und aktueller Armut.« Ich will protzen.
» Ein treffender Satz, dafür kriegst du ein Zuckerstück!«
Wo hat er das denn her? Ah, von einem Verkaufsstand, hinter dem sich in Sichtweite ein Feld mit Zuckerpalmen erstreckt. Gute Idee, ich kaufe für Jana braunen Karamellzucker. Bis ich ihr den schenke, muss ich mir nur noch einen dazu passenden Spruch einfallen lassen.
Hmm, wie wär’s mit: Jana, du bist genauso süß. Nee. Dann vielleicht: Mit dir ist alles ein einziges Zuckerschlecken. Nee, auch nicht. Ich sollte noch daran feilen.
Ein kleines Mädchen mit schüchternen schwarzen Augen steht vor mir. Ich gehe vor ihr in die Hocke, krame in meinem Rucksack und gebe ihr eine kleine Tube Zahnpasta. Sie strahlt und streicht sich damit fragend übers Haar.
» Das ist kein Shampoo«, sage ich, obwohl sie mich nicht verstehen kann.
Hm, wie übersetze ich das jetzt in Zeichensprache? Ach so, sie meint wohl einen Kamm. Auf der gesamten Reise habe ich die Gratis-Badeutensilien aus den Hotels eingesammelt. Duschhaube oder Schuhcreme wären gerade nicht so passend, also greife ich tiefer, und tatsächlich, ich habe noch einen Kamm dabei. Das Mädchen nimmt ihn, tanzt vor Freude und läuft dann aufgeregt zu ihren Freundinnen.
Wir fahren weiter durch olivgrünen Urwald zum nächsten Tempel, der einsetzende Regen verleiht den Bambusbauten an der Straße einen mystischen Glanz. Der Rauch der Feuerstellen würzt die warme Luft zusätzlich.
Eigentlich ist es eher ein Häuschen aus rohem Stein, aber hier heißt es »öffentliche Toilette«, und wir halten zu einer Kulturpause. Auch der Bus neben uns wird gerade
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