Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Alters: Ich bin nicht blind und taub schon gar nicht. Ich habe das zwischen dir und Jana doch gleich am ersten Morgen mitbekommen, auf dem Balkon in Hanoi.«
» Ooh. Hm, da war ich ehrlich gesagt gar nicht nett zu ihr«, sage ich stirnrunzelnd.
» Stimmt. Dafür hast du dich danach anständig gesteigert. Außerdem, nun ja, weil ich Jana direkt mochte, habe ich die ganze Zeit gehofft, dass ihr euch gut versteht, besser versteht, na, du weißt schon …«
Unglaublich! Okay, anfangs hat Mutti uns angestachelt, dann jedoch die ganze Reise über so getan, als würde sie nichts mitkriegen und wüsste von nichts.
Ich bin völlig verdattert. » Mutti, wir müssen reden.«
» Nein, das müssen wir nicht, sonst gehe ich dir doch nur wieder auf die Nerven.« Sie lächelt mir im fahlen Licht der Hotellampe zu. » Ach Junge, ich will doch nur dein Bestes. Ich liebe dich doch.«
Ich muss schlucken. Sie ist die Allerbeste!
» Und was willst du?«, fragt sie unvermittelt.
» Dasselbe, Mutti, dasselbe.«
» Sieh an, und das wäre?«
» Nun, dass der FC nicht absteigt, mit Freunden ins Kino, lecker Bierchen …«
Mutti verschränkt ihre Arme und legt nachsichtig die Stirn in Falten.
» … und, äh, und Jana natürlich!«
Als ich ihren Namen ausspreche, strömt plötzlich eine ungeheure Kraft durch meinen Körper. Das Blut scheint mit Highspeed durch die Adern zu pumpen. Initialzündung! Ich spurte auf mein Zimmer, um dort etwas zu holen, und bin wenige Augenblicke später zurück an der Rezeption.
» Ein Taxi zum Flughafen bitte!«
» Um diese Zeit müssen wir es vorbestellen.«
» Und wie lange dauert das?«
» Abfahrt in etwa einer Stunde.«
So lange kann ich nicht warten!
» Verdammter Mist!«
Meine Ungeduld entgeht dem Angestellten nicht.
» Ich kann meinem Bruder Bescheid sagen, dass er Sie mit dem Tuk-Tuk fährt. Das dauert aber länger als mit dem Taxi.«
» Wie viel länger?«
» Mit dem Taxi 30 Minuten, mit dem Tuk-Tuk länger.«
Das ist ja mal eine präzise Zeitangabe! Da ich keine Wahl habe, sitze ich einige Augenblicke später auf dem Mopedanhängsel. » Yes, Airport, hurry, zackzack!«
» Ja, ja«, antwortet der Fahrer.
Der gebündelte Strahl seines Scheinwerfers berührt die Straße, der Fahrtwind kühlt.
» Warum ohne Gepäck?«, fragt er in gebrochenem Deutsch.
» Weil ich erst morgen abfliege. Heute muss ich meine Liebste verabschieden.«
» Ah, wegen Frau. Geben Gas!«
O Mann, das erinnert mich an kitschige Beziehungsgeschichten in Hollywood-Filmen, die nach absurden Flughafenszenen in Happy Ends veröden. Jetzt, auf einmal, fände ich so etwas ganz schön. Aber davon bin ich weit entfernt.
Nach einigen Kilometern biegt er von der Hauptstraße links ab, die Straße führt nun durch einen Wald. Außerhalb der Stadt knattert das Moped noch lauter, da die Umgebungsgeräusche entfallen und der Motorenlärm von den Bäumen widerhallt. Das Vorderlicht tastet die knorrigen Stämme wie eine Taschenlampe ab, was äußerst gespenstisch wirkt.
Ich kann es immer noch nicht glauben, dass sich meine Mutter so unbedarft gegeben hat, obwohl ihr die ganze Zeit bewusst war, was gespielt wird. Bewusster als mir selbst!
Insofern kann man auch nicht sagen, sie habe mich mit Jana verkuppelt. Nee, dafür war Mutti doch viel zu passiv.
» Frau ist Freundin?«
Wegen der Lautstärke beuge ich mich nach vorne.
» Nein, ist sie nicht. Noch nicht. Soll sie aber werden!«
» Gut, gut. Geben mehr Gas!«
Das Moped rast ohnehin schon am Anschlag, der Tacho zeigt knapp 80 Stundenkilometer an. Endlich kommt ein Schild in Sicht, auf dem ein Flugzeug abgebildet ist. In der Ferne glüht der Himmel orange, ein Airbus sinkt im Landeanflug.
» Woher sprechen Sie eigentlich Deutsch?« Jetzt erst ist es mir aufgefallen.
» Haben zwei Jahre in Deutschland gewohnt. Wegen Frau. Gute Frau. Dann Heimweg.«
» Sie meinen ›Heimweh‹?«
» Ja, Heimweh auch.«
Auf einmal knattert der Motor nicht mehr, sondern stottert und spuckt, als habe er sich am Treibstoff verschluckt.
» Benzin alle.«
» Wie, was, Tank leer?«
» Ja, alle. Tankanzeige kaputt seit drei Jahre. Sonst immer kein Problem.«
» Kein Problem? Ich muss sofort zum Terminal! Wir stehen mitten im Wald. Das ist ein Problem!«
» Holen Benzin.«
Die Gelassenheit des Fahrers scheint unerschütterlich.
» Holen? Einfach so? Habt ihr ’ne Ölquelle unter der nächsten Lichtung?«
Nein, ich will nicht ausfallend werden, aber ich habe allen Grund dazu! Woher
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