Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
gebrüllt: » Ey, guckt ma hier, der liest ’n Buch – der Assi!«
Meine Liebste hat mich sofort verteidigt: » Hey Michelinmädchen, für dich gibt’s Diät-Ratgeber auch als Hörbuch!«
Minutenlang habe ich sie einfach nur verliebt angesehen.
» Andi, bist du gerade am Verarbeiten?«, fragt Mutti freundlich.
» Hm? Äh … nö.«
» Gut, dabei will ich natürlich nicht stören. Nur, vielleicht möchtest du eine Käsestulle?«
» Danke, ja.«
» Nimm bitte auch die Serviette …«
» Brauch ich nicht!«
» … na, wir wollen hier doch nicht auf die Sitze kleckern.«
» Und wenn schon! Fehlt nur noch, dass du mir ein Lätzchen umhängst!«
» Andi, ts ts, lieb sein.« Kristin gibt sich ihre sprachlichen Vorlagen gerne selbst, um sie anschließend direkt zu verwandeln. » Wer geht denn sonst mit Mutti an den Strand, wenn du im Hotel Stubenarrest hast!?« Treffer. Meine Familie lacht Tränen, während mir zum Winseln zumute ist.
Antje kriegt sich am schnellsten wieder ein. » Och Andi, nun guck doch nicht so, das war doch nur Spaß. Wir wollen dich doch nur aufmuntern.«
» Ich bin munter, so was von munter, munterer geht’s nicht!« Mit der flachen Hand schlage ich auf den Tisch. Ich brauche diese Art familiärer Nestwärme einfach nicht mehr, ich bin längst flügge. Weder erwarte ich Zuneigung von meinen Schwestern, noch will ich sie. » Haltet einfach die Klappe!«
» Schluss jetzt, Kinder.« Mutti schreitet ein, als würde sie gerade in der Krabbelgruppe für Ordnung sorgen. » Nun freuen wir uns alle mal darüber, dass wir so einen schönen Urlaub vor uns haben. Hach, herrlich!« Sie packt die belegten Brote zurück in ihre Tasche. » Und vielleicht, wer weiß, finden wir ja sogar eine neue Frau für dich, Andi …!«
» Hä? So weit kommt’s noch! Abgelehnt!«
Antje und Kristin sagen nichts, dafür schauen sie mich vielsagend an.
Danke, vielen Dank. Eine neue Freundin kann ich jetzt überhaupt gar nicht gebrauchen, und noch weniger auf Vermittlung meiner Mutter. Hätte ich es mir doch nur einfacher gemacht und wäre kurzfristig mit den Jungs nach Mallorca geflogen! Saufen, bis die Arzthelferin kommt. Und mit der dann weitertrinken, bis sie sich flachlegen lässt. Das würde natürlich auch viel besser zu meiner Stimmung passen. Genial, so ein Pauschalurlaub, in dem man sich um nichts kümmern muss. »All inclusive« hätte ich am liebsten nicht nur im Urlaub, sondern in meinem ganzen Leben. Du stehst im Stau, egal, da kommt auch schon so ein dauerfreundlicher Typ und bringt dir das nächste Freibier. Schön wär’s.
Stattdessen gibt’s Urlaub mit der Familie und als Krönung eine Reisegruppe, die bestimmt aus lauter Freaks besteht. Die Idee dazu hatte natürlich meine Exfreundin, klar. »Exfreundin«, wie schnöde das klingt. Mann, da bin ich einmal flexibel und zack, ist sie weg. Der Urlaub ist jedoch immer noch da, und den habe ich mir eben ganz anders vorgestellt! Jetzt will ich auf dieser Tour einfach nur noch eines haben: meine Ruhe!
Das könnte sogar funktionieren, in einem Land, dessen Hauptattraktion es wohl ist, wenn ein Sack Reis umfällt. »Sehen Sie hier, eben stand er noch aufrecht«, höre ich den Guide schon sagen. Wenn da nicht meine Familie wäre, die nichts als Unordnung in mein Chaos bringt! Um das mal ganz deutlich zu sagen: So ein Urlaub ist eine Investition in spätere Erinnerungen. Aber warum, warum bitteschön darf ich nicht selbst entscheiden, mit wem ich sie teile?
Meine Güte, was erzählt denn der Typ da vor uns beim Einchecken?! Als wäre die Schlange nicht schon lang genug, sogar für die Verhältnisse am Frankfurter Flughafen. Mitteilungsbedürftig lehnt der etwa 40-jährige Mann am Ticket-Schalter. Warum trägt er einen Strohhut?
» Auf dem Passfoto bin ich fast zehn Jahre jünger. Genau, damals habe ich noch Brille getragen.«
Nur mäßig interessiert schaut die Mitarbeiterin der Korean Air ihm ins Gesicht und gleicht es mit seinem Foto ab.
» Nach dieser Reise ist mein Pass übrigens abgelaufen, der kriegt dann daheim einen Ehrenplatz.« Er beugt sich vornüber auf den Schalter, sein Strohhut nickt dazu.
Sie fingert den Gepäckaufkleber um den Hartschalen-Koffer des Mannes.
» Den rahme ich schön mit einem Passepartout ein. Ein Wortspiel, haha, haben Sie’s bemerkt?«
Die Angestellte der Fluglinie händigt ihm beflissen die Bordkarte aus. » Seien Sie um 18:15 Uhr an Gate A 37. Guten Flug. Der Nächste. Bitte!«
Das sind wir. Nur kurz
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