Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Titel: Muscheln für Mutti: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Dörr
Vom Netzwerk:
Chefetage.«
    Die dampfenden Tassen fühlen sich gut an, strahlen Wärme und Geborgenheit aus, selbst meinen verletzten Finger spüre ich gerade kaum.
    » Nur noch diese Woche, dann bin ich hier raus.« Der Löffel kreist orientierungslos in meiner Tasse. » Weißt du, was der Hammer ist? Mutti will mitfahren!«
    » Klar weiß ich’s. Und nicht nur sie.«
    » Hm?«
    » Ich bin auch dabei.«
    » Du auch?« Perplex setze ich den Cappuccino ab.
    » Ich hab noch jede Menge Resturlaub, den muss ich bis Ende März nehmen.«
    » Hab ich in dieser Familie eigentlich auch noch was zu sagen? Vielleicht fragt ihr erst mal, ob ich das überhaupt will!«
    » Klar willst du. Um es mit Muttis Worten zu sagen: Wir sind doch nur zu deinem Besten.«
    » Wie überhaupt, warum … ich meine, ich habe doch erst vor fünf Stunden mit ihr telefoniert?«
    » Ich sagte doch: Das läuft.«
    Mein Cappuccino fühlt sich nun schlagartig eiskalt an. » Die Visa, ohne die geht’s nicht, wie wollt ihr beiden die denn so schnell …«
    » Die bringt Antje mit.«
    » Antje, wieso jetzt Antje?«
    » Sie kommt schon in drei Tagen aus München. Die Stempel holt sie auf dem Weg in Frankfurt persönlich ab. Hat schon mit der Botschaft telefoniert.«
    » Moment mal, dann … dann fliegt sie auch mit?«
    » Blitzmerker. Zwei Schwestern sind hilfreicher als eine.«
    » Verdammt, ich bin verlassen worden, ja – aber ich liege nicht im Sterben!« Gerade war ich noch gerührt, jetzt schüttelt es mich.
    » Hey, wir lassen dich doch nicht im Stich!« Kristin stellt ihren Becher aufs Geschirrband. » Du, ich muss wieder hoch, der Diktator ist gleich aus’m Meeting zurück.« Sie geht in Richtung Aufzug. » Na dann, frohes Packen. Übrigens, du teilst dir natürlich ein Zimmer mit Mutti!«
    Was soll das für ein Urlaub werden – hilflos eingeklemmt im Schwestern-Sandwich?
    Ich kann mich nur wundern. Seit wann ist unsere Familie demokratisch? Bei uns galt immer die Herrschaft des Stärksten. Und jetzt kommen die einfach so daher, überstimmen mich 3:1 und meinen auch noch, das wäre gut so. Schlimmer noch: zu meinem Besten! Mann, ich kann’s echt nicht mehr hören.
    Das ist … Mobbing! In der eigenen Familie.
    Meine Schwestern, sie sind eigentlich nett. Aber eben auch meine Schwestern!
    Kristin arbeitet nicht nur eine Etage über mir, sie wohnt auch lediglich einen Stadtteil entfernt. Antje dagegen ist ihrem Freund zuliebe nach München ausgewandert, wo sie selbständig als Physiotherapeutin arbeitet.
    Die beiden gelten als ziemlich hübsch: lange blonde Haare, blaue Augen, ein gewinnendes Lächeln. Antje ist fast so groß wie ich, Kristin reicht mir nur bis zur Schulter. Jünger sind sie beide.
    Antje ist durchtrainiert, drahtig, und genau genommen zu dünn. Ja, eigentlich sieht sie aus wie ein Magerquark auf Diät. Was wohl auch daran liegt, dass sie ständig sportlich unterwegs ist. Ja, ich glaube fast, sie hat eine Art inneren Bewegungsmelder. Im Gegensatz zu den mechanischen springt der aber an, wenn sie mal zu lange still sitzt. Wirklich, sogar wenn wir daheim Weihnachten feiern. Schon am ersten Feiertag, zack, fährt Antje zu ihrem früheren Leichtathletik-Club. Zum traditionellen Wettrennen, das passend zum Fest als »Printen-Sprinten« bezeichnet wird.
    Etwas übertrieben würde ich es so formulieren: Antje treibt täglich Sport und isst nur einmal im Monat, die kleinere Kristin dagegen macht es genau andersrum, an ihrem Körper ist also alles deutlich sichtbar an seinem Platz.
    Umso beweglicher ist Kristin verbal, da ist sie schlagfertiger als die beiden Klitschko-Brüder zusammen. Mutti hat sich bei einem Sonntagskaffee mal unbedarft geäußert, als sie mir ein Stück Erdbeerkuchen reichte: »Weißt du, Andi, von euch Geschwistern warst du als Baby am hässlichsten.«
    »Und dabei ist es auch geblieben!« Kristins süffisantes Grinsen habe ich noch genau vor Augen.
    Okay, als Säugling war ich Geisterbahn, mit großen Alien-Augen und zerknautschten Ohren wie bei Mr. Spock. Bis sich das rausgewachsen hat, sind Jahre vergangen. Zwei Jahrzehnte, besser gesagt.
    Ja, Kristins Ironie kann bissig bis beißend sein, dagegen ist Antje der deutlich sozialere Typ, immer gewesen. Schon im Sandkasten hat sie Kristin mit ihrer Schüppe ausgeholfen, damit die sie mir dann auf den Kopf hauen konnte.
    17 neue Nachrichten im Posteingang. Als ob ich Ewigkeiten nicht am Platz gewesen wäre. Was soll ich denn bitteschön ohne Freundin mit einer

Weitere Kostenlose Bücher