Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
ich meinen Spruch gar nicht schlecht, soll sie mich doch flachsen lassen, das lenkt mich von meiner Höhenangst ab. Außerdem ist das typisch Geschwister: Sie fangen bereits an zu maulen, wo Freunde noch höflich lächeln.
» Locker bleiben, Antje. Ich denke, du willst dich um mich kümmern und so?«
» Ja, stimmt. Nur jetzt will ich in Ruhe weiterlesen.« Sie drückt auf der Menüleiste herum. » Toll, die zeigen sogar einen Film mit deinen beiden Lieblingshelden.«
» Echt? Will Smith und Tommy Lee Jones?! Men in Black?«
» Dick & Doof. In der Fremdenlegion.«
Schwestern und Brüdern kann man eben nicht kündigen, und das wissen die genau. Außerdem: Nix gegen Stan Laurel und Oliver Hardy!
» Habt ihr auch Kissen?«, fragt Mutti hinter uns und reißt mich aus meinen Gedanken.
» Wohl, wir vertragen uns!« Das entfährt mir reflexartig, fast wie eine Floskel aus der Kindheit.
» Das will ich hoffen, sonst kommt ihr ohne Essen ins Bett.«
» Schlaf gut, Mutti«, sagt Antje und blättert um.
» Eine ruhige Nacht«, wünsche ich.
» Junge, bei meiner Angst vor Anschlägen, wie könnte ich da eine ruhige Nacht haben. Hier sitzen doch überall Schläfer.«
Bevor das Kabinenlicht abgedunkelt wird, meldet sich der Pilot noch mit einer Durchsage. Seine Stimme knackt über die Lautsprecher. » Guten Abend, wegen der Turbulenzen habe ich noch mal die Anschnallzeichen aufleuchten lassen. Wir überfliegen gerade Tadschikistan …«
» Bitte nicht!«, ruft Mutti dazwischen.
» … und haben schlechte Wegstrecke, drum gehe ich mal etwas höher.«
Ich merke das Ruckeln gar nicht, weil der Sitz vor mir sowieso schon die ganze Zeit vibriert. Der Dicke schnarcht und schnappt derart heftig nach Luft, dass die Lehne Zentimeter vor meiner Stirn wie ein Sprungbrett wippt. Jeder Atemzug ein lautes Grunzen. Meine Ohrenstöpsel könnten helfen. Wenn ich sie ihm in die Nase stopfe!
Montag, 26. Januar
GLOBUSHALTESTELLE SEOUL C
Antje löst ihren Gurt und steht verknautscht auf. Sie schaut den Gang hinunter.
» Mist, ausgerechnet jetzt kommt der Servierwagen.«
» Musst du mal?«
» Nee, ich will joggen.«
Ja, das macht sie eben gerne vor dem Frühstück.
» Guten Morgen, mein Schatz, wie geht es dir heute?«, fragt Mutti hinter mir durch den Schlitz der Sitze.
» Passt schon. Weißt du eigentlich, warum wir in Südkorea zwischenlanden?«
Mutti zuckt mit den Schultern. » So haben wir mehr vom Urlaub?«
Im Mini-Bildschirm vor mir sehe ich, dass Südkorea nicht auf der »Luftlinie« nach Vietnam liegt. Wir hätten in derselben Zeit auch bis Bangkok fliegen können, das viel näher an Hanoi liegt und uns eine umweltfreundlichere CO 2 -Bilanz ermöglicht hätte. Das kommt davon, dass Kim die Reiseroute gebucht hat. Ich Depp, wäre ich doch nur nach Mallorca geflogen. Die von Greenpeace hätten mich bestimmt ehrenhalber in einem ihrer Schlauchboote zurückgerudert. Tja, so jedenfalls haben wir Sibirien, China und die Wüste Gobi in der Mongolei überquert, bevor jetzt der Flughafen Seoul-Incheon in Sicht kommt. Am Fenster wundern wir uns über die vielen weißen Flächen am Boden.
» Vielleicht Salzkrusten.« Die Überlegung kommt mir spontan in den Sinn.
» Nee, Reisfelder«, sagt Kristin am Fenster hinter uns, schon ganz auf den Urlaub eingestellt.
Antje stellt ihre Rückenlehne gerade. » Ich tippe auf Schnee.«
Minuten später quietschen die Reifen. Es gibt tatsächlich immer noch Passagiere, die nach der Landung klatschen. Das nenne ich gerne den Applaus der Erleichterten. Puh, Glück gehabt, noch mal mit dem Leben davongekommen. Von mir aus, sollen sie machen. Aber eigentlich, ganz streng genommen, hat der Pilot doch einfach nur seinen Job gemacht. Ich stelle mir gerade vor, die Müllabfuhr kommt, und ich applaudiere auf der Straße, wenn die Tonne geleert wird: »Bravo! Fein gemacht, Herr Müllmann!« Ich glaube, es kann ziemlich wehtun, wenn dir ein voller Müllsack an den Kopf fliegt.
Der Dicke wuchtet sich aus seinem Sitz und verlässt den Flieger, als wäre nichts gewesen.
Draußen ziehe ich den Kragen hoch. Tatsächlich, es ist Schnee. Bingo, Antje. Am Boden sind es null Grad, es ist also so winterlich frostig wie daheim. Dann hat sich der Breitengrad also nur geringfügig geändert. Hinter dem Zoll begrüßt uns der Urlauber mit Strohhut, der etwas umständlich seinen Hartschalen-Koffer hinter sich herzieht.
» Hallöchen, ich bin der Harald!« Der Typ winkt mit seinem noch aufgeschlagenen Reisepass,
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