Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
Rückweg?«, fragt Antje.
» Wenn Andi krank ist, kehren wir um, ganz klar«, bestimmt Mutti.
» Warum musste ich denn überhaupt mit? Vorhin im Hotel hast du doch noch …«
» Dann war das ein Missverständnis, Andi.« Sie hebt einen Zeigefinger. » Missverständnisse sind das Fundament einer funktionierenden Familie.«
Ich seufze. » Hier, Leute, ich hab an der Rezeption ’ne Stadtplankopie eingesteckt.« Habe ich mir doch gedacht, dass mir die noch von Nutzen sein wird.
» Ein Glück, dass wir einen Mann dabeihaben«, sagt Mutti und nickt mir freundlich zu.
» Was hat das denn damit zu tun? Das haben die bei der Frauenfußball- WM doch auch nicht gesagt. Und organisieren kann ich schließlich auch.« Kristin verschränkt mürrisch die Arme.
Drei Mädchen knattern auf einem Moped über das löchrige Pflaster, sie winken uns zu. Die haben wohl noch nie vier Deutsche gesehen, die unschlüssig am Straßenrand stehen.
» Hier geht’s lang!«, sage ich entschlossen.
Frauen und Orientierung. Wenn ich es nicht selbst in die Hand nehme, wird das nie was.
Zeitumstellung hin oder her, mein Magen knurrt nun gewaltig. Er hat also mitbekommen, dass hier Mittag ist. An einer Straßenecke hockt eine Frau vor einem großen Topf mit klarer Brühe, der auf einem Gaskocher dampft. Nudeln, Hühnerfleisch und Gewürze stehen in bunten Schalen um sie herumdrapiert. Quer gelegte Bretter auf Backsteinen dienen als Tische, und fertig ist die Garküche auf dem Bürgersteig. Wir hocken uns auf blaue Plastikschemel in Kindergartengröße. Die Nudelsuppe, Pho genannt, schmeckt für einen Euro sensationell, sie macht mich satt und wieder gelassen.
Antje ist es nicht. » Lecker. Aber ich meine, die Suppe trägt etwas auf.«
» Dann zieh dir nicht immer so enge Klamotten an, das entspannt«, sagt Mutti.
Pappsatt führe ich meine Meute zielstrebig weiter. Sind wir an dieser Stelle nicht schon mal vorbeigekommen? Hm, die Ecken hier sehen alle sehr ähnlich aus. Wir laufen über ein Bahngleis, das durch eine Wohnsiedlung und geradewegs an den Haustüren vorbei verläuft.
» Der Übergang ist ja gar nicht gesichert.« Mutti stellt einen großen leeren Pappkarton quer auf die Straße.
Das Gleis ist auch auf meinem Plan eingezeichnet, aber ehrlich gesagt an anderer Stelle, als ich uns gerade vermute.
» Wie weit ist es denn noch?«, fragt Kristin.
» Mit den Cyclos ging’s natürlich schneller«, sagt Antje.
» Da vorne müsste gleich der kleine See kommen, an dem wir schon heute Morgen entlanggefahren sind.«
» Müsste?« Kristin schaut argwöhnisch. » Vielleicht fragen wir mal jemanden.«
» Blödsinn. Die verstehen uns doch eh nicht. Weiter.« Ich lasse mich doch nicht aus dem Konzept bringen.
Es vergeht eine weitere Stunde, bis wir das Wasser sehen, na endlich.
» Jetzt sind es höchstens noch zehn Minuten«, sage ich, insgeheim erleichtert.
» Schaut mal, in der Mitte ist eine kleine Insel. Die war heute Morgen noch nicht da«, erwähnt Mutti arglos und trinkt aus ihrer Colaflasche.
» Der See ist auch um einiges größer.« Antje schätzt seine Ausmaße offensichtlich völlig falsch ein.
» Das haste ja super hinbekommen!«, stöhnt Kristin auf. » Hätten wir doch lieber auf meinen Orientierungssinn vertraut.«
Als wenn der besser wäre. Lächerlich. Und selbst wenn, Wasser ist Wasser.
» Der Stadtplan hier ist wirklich eine schlechte Kopie, man sieht kaum …«
» Zeig mal her!« Kristin kneift die Augen zusammen. » Der See ist doch in der ganz anderen Richtung.« Sie legt einen Zeigefinger aufs Blatt. » Unser Hotel ist hier, viel weiter oben. Da ist noch eine Umrisslinie für ein Gewässer.«
» Aber kaum zu erkennen.«
Ich muss mich eigentlich nicht verteidigen, aber es kann nicht schaden. Zu dumm, zwar hat uns der Zettel in meiner Hand an einen See gelotst, allerdings an einen anderen, als er sollte.
» Dieser See ist aber auch schön«, schlichtet Mutti.
Es ist nach 18 Uhr, die Sonne ist bereits untergegangen. Die asiatischen Schriftzeichen blinken an den Läden, wie flackernde Straßenlaternen beleuchten sie die Gassen.
» Ich bin ganz verschwitzt«, stellt Mutti fest.
» Wir hätten uns längst im Hotel frisch machen können, hätte uns Andi nicht in die Irre geführt«, mault Kristin.
» Gar nicht, das war diese missratene Kopie von einem Stadtplan!«
» Na kommt, wir sind ja gerade noch rechtzeitig am Treffpunkt«, sagt Antje. » Schaut mal, da ist auch Jana.«
Sie winkt uns zu. » Haalloo,
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