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Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Titel: Muscheln für Mutti: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Dörr
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millionenschwer.«
    » So, dann sind wir ja jetzt vollzählig. Noch mal herzlich willkommen in Vietnam!« Jana strahlt. » Um einen ersten Eindruck von Hanoi zu bekommen, werden wir gleich auf Cyclos, als den hier typischen Fahrradrikschas, durch die City gefahren.«
    Das ist nichts für mich. Da mache ich lieber noch ein Nickerchen und packe meine Sachen aus.
    Walter hält sich die Hände an den Mund. » Achtung, ein Sicherheitshinweis: Bei einem Plattfuß fällt automatisch Sauerstoff aus Ihrem Reifen.« Warum ist dieser Walter so fröhlich?
    » In zehn Minuten treffen wir uns alle vor dem Hotel«, bestimmt Jana.
    » Hör mal, wenn du gleich durchzählst, kannste mich abziehen«, sage ich betont beiläufig.
    » Du fährst nicht mit?«
    » Doch, doch!«, ruft Mutti durch den Raum.
    » Mutter …«
    » Darüber haben wir doch gesprochen, Andi.« Sie wendet sich der Gruppe zu. » Er muss auf andere Gedanken kommen.«
    » Mutter!«
    » Naja«, setzt Jana an, » die Teilnahme an unseren Ausflügen ist grundsätzlich freiwillig und …«
    » Nein, nein. Mein Sohn will mit!«
    Nicht zu fassen, am liebsten würde ich im Keller verschwinden, wenn die hier einen hätten! Wenn ich mich jetzt aber vor den anderen offen gegen Mutti auflehne, würde sich meine Situation nur noch verschlimmern.
    » Ich komm ja mit«, knurre ich.
    Toni, der vietnamesische Guide, hebt lächelnd einen Daumen in meine Richtung.
    » Wir sind bei dir«, flüstert mir Antje aufmunternd zu.
    Genau das habe ich befürchtet, genau das!
    Vor dem Hotel ist es sehr diesig, Sven behält dennoch seine Sonnenbrille im Haar. Klar, Surfer zu sein verpflichtet. Elf Cyclos warten nebeneinander auf der Straße, wie eine Art Sessel sind kleine Sitze vor die Räder montiert. Dahinter hocken die Fahrer im Sattel und strampeln uns durch die Gassen Hanois.
    » Wie schön, hier ist ja gar nix los.«
    Ich schlage die Beine übereinander und lehne mich zurück. Dabei hat Kim mir erzählt, dass der Mopedverkehr in Hanoi dichter ist als in Bangkok. Das sei dann so, als rausche ein Heringsschwarm an dir vorbei. Ein laut hupender allerdings.
    Weil der Fahrer von Janas Cyclo gerade überholt, hat sie mich gehört.
    » Die Straßen sind wegen Tet so leer«, sagt sie.
    » Wegen Ted bleiben die zu Hause? Der Kerl muss ja mordsgefährlich sein!«
    » Tet ist das Neujahrsfest, das traditionell im Kreise der Familie gefeiert wird«, erklärt Jana.
    » Klar, Silvester im Februar, diese Zeitverschiebung ist einfach zu ulkig.«
    Ihr Cyclo rauscht an mir vorbei. Der Versuch, mich aus meiner Wissenslücke herauszualbern, ist also gescheitert. Missbilligend mustere ich meinen langsamen Fahrer. Er ist zwar älter und hat dürre Beinchen, dennoch kann er froh sein, dass der Gebrauch von Gerten auf Fahrrädern unüblich ist. Wenigstens hält mich Jana jetzt bestimmt nicht nur für einen Säufer in grünen Socken, sondern für einen kulturlosen Säufer in Socken.
    » Schau mal, Andi, überall Stromleitungen.« Im Cyclo vor mir blickt Mutti staunend nach oben. Kreuz und quer hängen die wie Spinnenweben hoch über dem Asphalt.
    » Ein Traum, dass ich die endlich mal zu sehen kriege. Das lohnt total.«
    » Nun hab dich doch nicht so. So bist du wenigstens an der frischen Luft.«
    » Komm du mir nach Hause …«, sage ich lakonisch.
    » Da, sieh mal, überall auf den Balkonen baumelt die Nationalflagge: gelber Stern auf rotem Grund. Meine Nachbarin, die ständig staubsaugt, du weißt schon, die hat mir erzählt, in Vietnam steht Gelb für Macht und Rot für Glück.«
    Aha, darum strotzen also auch Regierungssitz, Parteizentrale und Literaturpalast in diesen Farben, wie mir im Vorbeifahren auffällt. In Hanois Straßen stehen schmale Häuser eng Spalier, im kolonialen Stil oder im Freistil: bunt, eigenwillig, durcheinander. Die heruntergelassenen Rollos der noch geschlossenen Läden versperren die Sicht auf die Ware, dabei hätte mich die viel eher interessiert. Außerdem trifft man hier überall auf Ho Chi Minh, von dem ich schon gehört habe. Der soll so eine Art Heilsbringer sein und wird von den Einheimischen angehimmelt, ähnlich wie bei uns Franz Beckenbauer. Ja, »Lichtgestalt«, das heißt Ho Chi Minh sogar übersetzt. In Hanoi steht er überall als Skulptur oder hängt als Bild herum. Nur nicht in seinem grauen Mausoleum. Da liegt er selbst, und zwar einbalsamiert.
    » Er ist der legendäre Befreier Vietnams«, sagt Jana in seinem Grabgebäude mit gedämpfter Stimme fast andächtig. Es ist

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