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Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Titel: Muscheln für Mutti: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Dörr
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Urlaub, und das erste Highlight ist ein Toter, das habe ich so nicht gebucht. Selbst wenn der Typ noch so bedeutsam ist – an einer ausgestellten Leiche bin ich wirklich nicht interessiert.
    » Kadaverpalaver!« Genervt verlasse ich das Mausoleum.
    Wenn schon kulturlos, dann komplett.
    Die Gruppe zieht weiter durch die Gassen, unmotiviert schlendere ich hinterher.
    Plötzlich steigt mir ein seltsamer Geruch in die Nase. » Wo wird hier gegrillt? Es riecht angebrannt!«, melde ich mich begierig. Wenn ich Hunger habe, werde ich wahllos. Ja, meine Aufmerksamkeit ist auf einmal wieder voll da.
    » Ich würde sagen, es duftet nach Weihnachten«, stellt Kristin fest.
    » Quatsch, ist doch schon Neujahr«, prahle ich mit meinem neuen Wissen.
    Mutti bleibt stehen, lutscht am rechten Zeigefinger und hält ihn hoch. »Kinder, das sind Räucherstäbchen. Hier muss irgendwo eine Pagode sein.«
    Tatsächlich, Qualmschwaden von Räucherstäbchen ziehen an uns vorüber. Wie Miniaturwolken, die mal gucken wollen, was weiter unten so los ist.
    » Schön, wie ein lautloser Lockruf, der signalisiert, dass wir uns in der Nähe eines Gebetstempels befinden«, schwärmt Antje schnuppernd.
    Bratengeruch wäre mir jetzt wirklich lieber. Der Advents-Mief führt zu einem Gebäude, das sich von außen kaum von den anderen unterscheidet, dafür innen an eine Kapelle im tiefsten Bayern erinnert, so plüschig und golden ausstaffiert, wie es ist. Okay, wo bei uns Engelsputten baumeln, thronen hier bierbäuchige Buddhas an der Wand. Klar, wie könnten die auch schweben?
    Im Mittelpunkt steht ein großer Altar, auf dem grüne Salate und frisches Obst liegen. Als ob Gott Vegetarier wäre – anderswo werden ihm Rinder oder Schweine geopfert. Um andächtig zu erscheinen, nähere ich mich langsam dem samtüberzogenen Gabentisch, der außerdem von Räucherstäbchen übersät ist.
    » Über den Rauch sollen die Gedanken, Gefühle und Gebete in den Himmel aufsteigen«, höre ich Jana durch den weißen Nebel sagen.
    Jetzt stehe ich genau seitlich am Hauptaltar, vor dem gut 50 Einheimische konzentriert mit gefalteten Händen knien. Sie haben die Augen geschlossen, so vertieft sind sie ins Gebet. Das kommt mir gelegen. Eine Säule verdeckt mich, ich strecke einen Arm aus und lasse ihn wie eine Schlange über den roten Samt gleiten. Die Banane, ja, die könnte ich erreichen! Ich muss mich richtig lang machen, noch länger, es sind nur noch wenige Zentimeter zwischen mir und dem Snack. Plötzlich hupt von der Straße ein Auto in die Andacht hinein. Erschrocken ziehe ich meinen Arm zurück, wobei ich gegen einen Apfel stoße, der ungebremst nach vorne rollt. Wie in Zeitlupe kullert er vom Altar, unaufhaltsam, fällt und klatscht lautstark auf den Boden. Ich Idiot.
    Ein ungläubiges Raunen fährt durch die Reihen der Knienden. Ich bin doch sonst nicht so tollpatschig. Schnell verdrücke ich mich seitlich an der Wand entlang nach hinten und stelle mich unauffällig wieder zu unserer Gruppe. Das Getuschel unter den Betenden verstärkt sich. Sie sehen sich staunend an, so als hätten sie auf dieses Zeichen gewartet. Eine alte Frau hebt zu einem jaulenden Gesang an.
    » So was, auf einmal ist der Apfel losgerollt. Hast du das gesehen, Andi?«, fragt Mutti baff.
    » Ja, du, also Äpfel und Religion, die hatten ja von Anbeginn kein tolles Verhältnis«, sage ich so beiläufig wie möglich. » Äh, sollten wir jetzt nicht wieder rausgehen? Dicke Luft hier.«
    Der Dunst des Morgens hat sich noch immer nicht verflüchtigt. Ein angerostetes Moped steht unter einem schiefen Wellblechdach, die ehemals weiße Farbe der Häuserfassade blättert in handgroßen Fetzen ab.
    Das also ist sehenswert?
    » So, wir gehen jetzt zurück ins Hotel!« Zur Bekräftigung deute ich mit einem Arm nach vorne.
    Jana hat gesagt, wir hätten jetzt »freien Auslauf«, so heißt es wohl im Reiseführer-Fachjargon, also haben wir uns von der Gruppe getrennt.
    » Wir sind doch noch gar nicht durch mit allem«, beschwert sich Kristin.
    » Das klappt sowieso nicht, dafür ist Hanoi zu groß.«
    » Du möchtest wohl entspannen, einfach die Seele baumeln lassen?« Vor allem möchte ich meine Beine baumeln lassen, also passt mir Antjes Fürsorge gerade gut in den Kram.
    » Ja, genau, mir ist nicht ganz wohl.«
    » Warum hast du das denn nicht heute Morgen gesagt?«, ereifert sich Mutti. » Dann wäre ich doch mit dir im Hotel geblieben!«
    » Schade, die Cyclos sind jetzt weg. Weiß einer den

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