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Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)

Titel: Muscheln für Mutti: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Dörr
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Das Bild habe ich mal beim Zappen in einer Fernsehreportage gesehen: Dschunken mit orangenen Segeln gleiten zwischen grün-schwarz bewucherten Kalksteinfelsen hindurch, die sich wie riesige Daumen aus dem Golf von Tongking erheben.
    Toni hat im Bus erzählt, dass sich hier etwa 2000 dieser Inselberge, oftmals hunderte Meter hoch, verteilen. Zerklüftet sind sie und steil, manche kahl, viele grün bewuchert. Das kristallklare Wasser fließt in ihre Felsgrotten, die auch von Legenden und Mythen umspült sind. Ein Drache soll hier eingetaucht sein, nachdem er die Vietnamesen im Kampf gegen die Chinesen unterstützt hat. Daher der Name »Ha Long«: herabsteigender Drache.
    Auf dem Oberdeck reihen sich verzückt staunende Gesichter wie Statuen aneinander. Visuell virtuos, Licht und Farben dieser gewaltigen Natur beeindrucken sogar mich. Daumen hoch! Und die Fotoapparate natürlich auch.
    Wahnsinn, ich bin energiegeladen, ich habe Spaß! Das bin nicht ich, das … das ist der Skorpionschnaps! Ja, jetzt merke ich es. Die Wirkung hat eingesetzt, definitiv. Dieser Schlangenschnaps führt nicht nur zur Penisverlängerung, sondern in meinem Fall auch zu dickeren Eiern.
    Die Strickleiter flattert, als ich ihre Sprossen erklimme. Ungestüm klettere ich den Mast hinauf zum Ausguck. Da ist zwar keiner, aber meine Phantasie übertrumpft die Wirklichkeit bei weitem. An den dicken Seilen halte ich mich fest, von oben bilde ich mir noch stärker ein, wie eisern die Dschunke in der Fahrrinne liegt, die wohlgemerkt keine überflutete Straße ist, sondern die berüchtigte Halong-Bucht! Die mit den tauchenden Drachen, ja ganz genau. Bravo, Herr Kapitän, dieser Fünf-Sterne-Matrose muss gefeiert werden.
    » Hievt die Segel, reckt die Masten, rafft die Taue!« Oder wie das heißt.
    Die Strickleiter endet an der vietnamesischen Flagge, knapp unterhalb des Himmels. Wolken ziehen vorüber wie schwebende Zuckerwatte. Ein Airbuspilot winkt mir aus seinem Cockpit zu. Immer höher schiebe ich meinen Kopf, hinein in die sanftweißen Schwaden, und strecke die Zunge raus. Die Wolken, sie schmecken milchig.
    Unter mir liegen die anderen schlapp in der Sonne, sie sind nur noch groß wie Käfer.
    » Guckt mal, freihändig!«
    Das ist Freiheit und Abenteuer, das ist meine Welt. Was für eine Leichtigkeit, wenn man über den Dingen steht. Familie? Wie herzlich. Exfreundin? Nie gehabt. Mitreisende? Einfach goldig.
    Ich könnte ewig hier oben bleiben, wenn, ja wenn ich nicht noch einiges zu regeln hätte – bei diesen verrückten Erdlingen.
    Flink klettere ich die Leiter hinab, schlängle mich am Mast vorbei und betrete wieder das Deck.
    » Wolken schmecken milchig«, sage ich.
    Mutti regt sich auf ihrer Liege und blinzelt in die Sonne. » Ich habe auch schön geträumt.«
    » Eisberg in Sicht!«, schreit Walter aufgeregt, als wir einen der Inselberge ansteuern, über dessen blanken Felsen Affen kraxeln. Am Bootssteg drehen wir bei. Antje freut sich über die Aussicht. » Toll, Treppen!«
    Schnurstracks erklimmt sie die vielen steilen Stufen zur Bergspitze. Da laufe ich nicht auch noch mit hoch, das überlasse ich gerne ihr. Hier liegt mir der Strand, den ich von oben nur aus der Ferne sehen kann, doch zu Füßen.
    » Komm, Andi, wir gehen plantschen.« Walter. In seiner schwarzen Badehose wirkt er auch mit 67 noch gut in Form. Seine langen Gliedmaßen rudert er bereits in der Luft warm.
    » Vorsicht, mein Schatz, die Möwen fliegen tief«, warnt Vera wohl aus Erfahrung.
    » Kristin, du auch?«, frage ich meine Schwester.
    » Bekloppt? Doch nicht bei 15 Grad.«
    Celsius, Fahrenheit, Wassertemperatur – uns doch egal! Walter und ich zappeln ins Südchinesische Meer, gut hundert Meter zittere ich gegen die Kälte an, dann spüre ich sie kaum noch. Wir durchschwimmen die Fahrrinne und nähern uns einer Dschunke.
    » Los, alles klar zum Entern?« Keiner soll sagen, nur Walter habe Unfug im Kopf.
    » Auf ins Gefecht!« Angriffslustig versuchen wir uns an den tangverschmierten Schiffsplanken hochzuziehen, doch die lassen sich nicht richtig greifen.
    » Mist, die haben die eingeseift. Diese Schlitzohren!« Walter lässt sich zurück ins Meer plumpsen. » Miese Nummer, die haben uns ausgetrickst!«
    Dennoch schwimmen wir erhobenen Hauptes zurück. Jetzt den Kopf im Wasser hängen zu lassen wäre auch sehr ungünstig.
    Am Strand drückt uns Kurt anerkennend Bierdosen in die Hand.
    » Auf unseren Kampfgeist!« Walter prostet. Ich pruste. Meine nasse Badehose

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