Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
das Wort »Sichtschutz« gar nicht ins Vietnamesische übersetzen lässt. Es gibt ja so einige Ausdrücke aus dem Deutschen, die andere Sprachen gar nicht kennen: Das Wort »Schadenfreude« zum Beispiel ist eins zu eins ins Englische übernommen worden, den Ausdruck kannten die Amerikaner vorher einfach nicht. Und das Gefühl auch nicht. Nun, die hatten wohl andere Schwestern als ich.
Unser Bus hält an einem größeren Touristenshop, in dem auch Tierschnaps verkauft wird. Das heißt, Schlangen oder Skorpione sitzen, hochprozentig konserviert, in Flaschen fest. Sojasprossen und Gewürze ergänzen diesen Trunk, den die Vietnamesen als Potenzmittel runterkippen. Staunend betrachte ich die im Glas eingelegten Tiere.
» Karmasaufen«, sage ich belustigt vor mich hin.
Jana tritt hinzu. » Na, interessiert?«
Wie meint sie das denn jetzt, ironisch oder anzüglich? Oder will sie einfach nur mit mir ins Gespräch kommen? Na gut, das will ich auch. Nur würde es mir besser gefallen, wenn das Thema weniger verfänglich wäre. Schnöder Staudensellerie auf der Ladentheke, und ich könnte entspannt drauflosplaudern.
» Och.« Okay, das ist zumindest schon mal eine Reaktion von mir. Jetzt sollte ich noch eine Antwort hinterherschieben. » Ich will mich bei dir …«
» Hey Jana, hast du noch ’ne Kopie vom Tagesplan?«, fährt mir Sven dazwischen. Wir sind eine Reisegruppe, ich weiß. Dennoch, müssen die anderen allgegenwärtig sein? Jana nimmt ihn mit zum Bus. Dafür nähert sich Harald, momentan ein unbefriedigender Tausch.
» Die Flaschen hier würden wir gar nicht durch den Zoll kriegen. In Europa stehen die Tiere unter Artenschutz.« Belesen ist er, das muss man ihm lassen.
» Wenn du vom Schlangenschnaps ’nen Ständer kriegst, dient das zumindest unserer Arterhaltung«, mutmaße ich.
» Interessante These.« Harald lehnt sich über die Theke.
Einen Mini-Skorpion im Flachmann gibt es bereits für einen Euro. Daneben starrt eine riesige Kobra erhobenen Kopfes aus einer 50-Liter-Flasche. Ihr Körper schlängelt sich wie eine Spirale zum Glasboden. 1000 Dollar kostet diese angebliche Erektionshilfe, die in der Menge doch eigentlich nur in einem Harem oder bei einer Orgie Sinn macht. Die Etikettierung auf dem Glas gefällt mir: »Lucky Men«. Eine eifrige Verkäuferin hält Harald das flüssige Viagra direkt vor die Nase. Der reagiert irritiert.
» Äh, da muss ich erst meine Mutter fragen.«
Oder seinen Arzt oder Apotheker. Harald geht weiter.
Das ist es! Vielleicht ist das genau so ein Zaubertrank, wie ihn schon Asterix geschluckt hat. Der ihn für eine Weile zum Helden gemacht hat, dem nichts und niemand etwas konnte. Wie geil, genau dieses Zeug brauche ich jetzt! Zwar laufen hier keine Römer herum, dafür andere Störenfriede. Die üblichen Verdächtigen sind zum Glück einige Meter entfernt. Mutti scheint den Preis der Stoffe mit denen im Pfahlhüttendorf zu vergleichen, Antje und Kristin sitzen mit Mechthild beim Kaffee zusammen. Action, Andi!
In Deutschland habe ich die blauen Pillen noch nie ausprobiert, aber wie ich zum Supermann werde, ist doch letztlich egal. Hauptsache, es wirkt. Hauptsache, ich wirke.
» Na du«, grüße ich die junge Vietnamesin.
» Yes, please?«, fragt sie freundlich. Klasse, sie spricht englisch.
Ich schaue noch einmal nach rechts und links wie am Zebrastreifen. Keine Gefahr, also los.
» Die da«, sage ich und zeige auf eine der kleineren Flaschen.
» Scorpion?«
Ich zücke mein Portemonnaie und lege einen Schein auf die Theke. » Oh ja, hossa.«
Sie scheint etwas amüsiert, weil ich den kleinen Drehverschluss sofort öffne und das Fläschchen ansetze. Die Flüssigkeit ist dick, riecht säuerlich und erinnert an Alkohol aus dem Medizinschrank. So also schmecken Zaubertränke? Armer Asterix.
» Puuh!« Ich schüttle mich, bewahre aber Haltung. So auf Anhieb verspüre ich nichts. Ich muss wohl einen viel größeren Schluck nehmen. » Aaah!« Wie der kleine Gallier wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund.
Nichts passiert. Ich betrachte die Verkäuferin. Aha, vielleicht muss ich sie dabei genauer anschauen. Wie ein Model sieht sie nicht gerade aus, aber doch recht passabel. Ihre Augen schillern in sanftem Schwarz.
» Eieiei!« Ich knalle die Flasche zurück auf die Theke, der Skorpion hängt nun ziemlich schief im leeren Glas.
Nix. Enttäuscht schaue ich an mir herunter. » Allez hopp!« Vielleicht muss ich sie mir nackt vorstellen? Eine Gebrauchsanleitung zu
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