Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
warst du?«
» Meditieren, quasi. Hab meine innere Harmonie wiederhergestellt.«
Harald nickt kurz und setzt eine Diskussion fort, die er gerade mit Sven führt.
» … Zeremonien-Zirkus, sage ich. Beten, das kann doch kein Hauptjob sein!«, ereifert er sich. » Und Steuergelder kommen dabei auch nicht rum.«
» Beten ist kein Hobby. Das gibt ihnen mentale Kraft.« Klingt so, als würde Sven die Mönche verteidigen, was okay für mich ist. Dennoch, ich bin missmutig und wähle Sven als Opfer für meine Laune.
» Die Surfer beneiden Jesus bestimmt, weil er übers Wasser laufen konnte.«
» Bitte was?« Sven wirkt beim Thema Religion erstaunlich verwundbar. » Du gehörst doch sicher auch zu den Leuten, die sich nur Weihnachten und Ostern in der Kirche blicken lassen.«
Oha, ich trete auf der Stelle, fühle mich ertappt, will es aber nicht zugeben. » Mein Abo auf die Kirche ist abgelaufen. Dafür war ich Messdiener.«
» Ich auch!« Das habe ich mir schon gedacht, Harald.
Sven bleibt streng. » Und zahlst du noch Kirchensteuer?«
» Ja«, bekräftige ich, » denn als Exmessdiener fühle ich mich fast schon als … Gründungsmitglied.«
Augenscheinlich geht ein Ruck durch Svens Körper, als er auf mich zeigt.
» Dann sag mir: Durchschaut Gott die Frauen?«
Sieh an, in dieser Hinsicht scheint er professionellen Beistand gut gebrauchen zu können. Erstaunlich, so als Surfer.
Aber Svens Frage, die gefällt mir. » Tja, ich würde sagen: Wenn einer, dann Gott.«
Ich sollte mal wieder mit ihm reden.
Gegen Mittag sammelt sich unsere Gruppe am Ufer, an dessen Anlegestelle sich nun viele Touri-Boote drängeln. Zu viele. Der Fluss bringt uns einige Kilometer weiter zu den Grabmalen des Kaiser-Clans. Schlaff hänge ich auf meinem Plastikstuhl, eine halbleere Cola-Dose baumelt in meiner rechten Hand.
» Na, geht’s noch?«, fragt Mechthild.
» So lala.«
» Sechs Kinder, das ist ’ne Menge Holz, hm?« Ich vermute, sie meint es fürsorglich.
» Allerdings. Irgendwann habe ich ’ne Antibaby-Demo gemacht – vor dem Schlafzimmer meiner Eltern.«
» So richtig mit Megaphon?« Mechthild erkundigt sich eher interessiert als amüsiert.
» Nö, aber als eindeutige Geräusche durch die Tür drangen, habe ich gerufen: ›Wenn das nächste Gummi hält, verzichte ich aufs Taschengeld!‹«
» Und das hat geholfen?«
» Geht so. Mein Vater johlte zurück: ›Bub, ab ins Bett. So kann ich nicht arbeiten!‹«
Mutti muss die letzten Sätze mitgehört haben. » Sehr richtig, alle sechs Kinder von einem Mann. Ich weiß, zeitgemäß ist das nicht mehr.«
Der Fluss macht erneut die Biege.
Minuten später schwappen wir an Land und laufen über einen Holzsteg, dessen Latten sich bedenklich durchbiegen.
» Wir kommen jetzt Friedhofsfestung von Tu Duc, letzter Kaiser Vietnams«, freut sich Toni. » Der hat hier auch regiert und gelebt. Mit 100 Konkubinen«, sagt Toni anerkennend.
» Ah, der Skorpionschnaps macht’s möglich«, flüstere ich Harald zu, der schmunzelnd einen Daumen hebt. Bestimmt hat Toni selbst auch 100 Mädels, nur eben nicht auf einem Fleck. Besser ist das.
» Ist Pech, dass Tu Duc wegen einer Pocken-Erkrankung impotent war«, grinst Toni.
Es ist eine schmuddelige Szenerie: Wände und Dächer der Tempelpavillons sind schwarz überzogen, wirken geradezu verwest. Die feuchte Witterung hat ihnen einen dunklen Anstrich verpasst. Im Innenhof ruhen Teiche, in deren schmierig grüner Grütze Lotos und Seerosen blühen. Walter fischt eine aus dem Tümpel und überreicht sie Jana feierlich, die sich mit einem angedeuteten Knicks kokett bedankt. Jana hat die Blume, ich habe den Blues.
Meine trägen Augen folgen einem kräftigen Ast, der sich durch einen eingefallenen Türsturz windet. Seine Zweige schlängeln sich durch diese Monumente des Morbiden und enden in einem ausgreifenden Baumwipfel, der die düstere Atmosphäre überdacht. Ich muss pupsen.
» Lass das, ist ja ekelhaft!« Kristin haut mich.
» Ey, aua.«
Das stört sie, aber über den Gräbern hatte sie sich schließlich auch die Nase zugehalten.
» Wo genau der Kaiser beerdigt worden ist, weiß übrigens niemand.« Toni macht eine kurze, bedeutungsvolle Pause. » Denn aus Angst vor Grabschändung sind die Sargträger gleich dazugelegt worden.«
Da beginne ich den Tag schon scheintot und muss mich hier auch noch mit Mumienkultur auseinandersetzen. Ich scharre mit den Füßen im Kies. Für heute habe ich echt genug. Zum Glück sind auch die
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