Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
hässliche Narben hinterlassen.
» Das ist wirklich verwahrlost«, klagt Mutti, » schlimme Sache, dieser Vietnamkrieg.«
» Der hat hier ja echt die ganze Gegend verkohlt.« Kristin pflichtet ihr kopfschüttelnd bei.
Antje hebt den Reiseführer wieder an.
» Hier ist die ›Demilitarisierte Zone‹, kurz: DMZ , in der sich Mitte der 60er bis in die 70er Jahre die meisten amerikanischen Bomben in den Boden bohrten und irreparable Schäden hinterließen.«
Gleich neben der kaiserlichen Stadt sind US -Panzer ausgestellt, die die Vietnamesen 1975 im Kampf gegen die Roten Khmer reaktivierten und damit in Kambodscha einrollten. Über die festgerosteten Kettenräder tollt lachend ein Kleinkind.
Der Fußweg zurück zum Hotel führt am Parfümfluss entlang, in dem Hühner gerupft und gewaschen werden. Sauber werden die dabei eher nicht, wie mir scheint, denn das bräunliche Wasser riecht ziemlich übel. Antje hat sich bereits weiter informiert. » Der Zusatz ›Parfüm‹ steht für die Poeten, die zur Kolonialzeit am Fluss ihre Prosa verfasst haben. Gemeint ist also der Duft ihrer Gedanken.«
Wie widersinnig, diese verschlissene Plörre mit wohlriechenden Essenzen in Verbindung zu bringen. Eau de Ekel, das ist es. Ein Gebräu, so abgestanden wie mein Hirnschmalz. Jedenfalls empfinde ich es gerade so.
Der Asphaltweg endet an einem Markt. Hühnerkörper liegen entkleidet auf Plastikschüsseln, ihre kahlen gelben Beinchen hängen über den Schalenrand. Ein Hund schlabbert das Wasser auf, das an ihnen heruntertropft.
» Eine Currywurst wäre gut. Gegrillt nach deutschem Reinheitsgebot.« Eben hat mein Magen noch geknurrt, jetzt kläfft er.
» Andi, denkst du schon wieder nur ans Essen?«, fragt Mutti streng.
» Immer nur Reis auf dieser Tour, das ist doch keine ausgewogene Ernährung. Was ist mit Pommes, Pizza, Pasta!?«
Im nächsten Holzblock schlummert seitlich ein Hackebeil, obendrauf schwitzt rohes Fleisch, das nie einen Kühlschrank gesehen hat. In der Luftfeuchtigkeit wirkt es, als sei der Brocken ganz schummrig. Den Plastikplanen gelingt es nur unzureichend, die prallen roten Scheiben gegen die Sonne abzuschirmen. Selbst den vielen Fliegen scheint es zu heiß.
» Bei der Ernährung gilt es, das richtige Maß zu finden«, schwadroniert Antje.
» Oh bitte, keinen Vortrag!« Ich kenne ihre Argumente. Die sind alle nix für mich.
» Natürliche und abwechslungsreiche Kost, darum geht es. Nur wer sich gesund ernährt, bleibt langfristig körperlich und geistig fit. Das lernt man doch schon als Kind.«
» Das ist bei Andi eben schiefgelaufen«, kommentiert Kristin süffisant.
Ich werde lauter. » Schaut euch doch mal um, selbst die Buddhisten sind nicht alle Vegetarier.« Fleischhaufen, überall Fleischhaufen. Dahinter glänzen die nackten Füße der Verkäuferin.
» Also lass dein Physiogequatsche, Antje! Ich brauch keine Therapie, ich brauch ’n vollen Teller!«
» Du bist eben ein Vielfraß«, labert Kristin lapidar.
» Besser als ein Mitesser …«, erwidere ich.
» Wie wäre es mit einer Diät? Du verlierst Gewicht und gewinnst Lebensenergie«, doziert Antje, » mehr noch, du kommst mit dir selbst ins Reine.«
» Klar, und am Ende fühle ich mich so rein wie die Hühner hier im Fluss. Gerupft, ausgehöhlt und sinnentleert!«
Mutti mischt sich ein. » Also ich finde ja auch, dass du mal fasten könntest.«
» Papperlapapp! Außerdem ist Fasten doch dasselbe wie ’ne Diät! Nur eben in christlich.« Wo, verdammt, ist Kurt? Der weiß wenigstens, wovon ich rede!
» Zu viel Fleisch ist ungesund, das war schon immer so«, betont Antje und fotografiert einen Marktstand.
» Ach ja? Und die Neandertaler? Die haben doch jeden Tag gegrillt! Was hatten die wohl für ’ne Salatbeilage zu den Mammuts? Ha!« Froh über meinen schlagfertigen Einfall lächle ich einer alten Händlerin zu.
Mais und Bohnen warten auf umgedrehten Bananenkisten geduldig auf ihren Feierabend oder Käufer. Grüne Bananen, noch an Stauden, reifen gelassen vor sich hin. Die Obstfrau lugt matt unter ihrem kegelförmigen Hut hervor.
» Fasten bedeutet auch Verzicht«, beharrt Mutti. » Wie bei Jesus, als er 40 Tage in der Wüste war.«
» In der Wüste ist doch nix!« Ich möchte nicht bibeluntreu erscheinen, aber da hungert man doch zwangsläufig?
» Das sind ja echte Leckereien hier.« Kristin ist einige Schritte weiter gelaufen und zeigt auf eine der Freilufttheken, in der das pausbäckige Fleisch jetzt in der tiefer stehenden
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