Muscheln für Mutti: Roman (German Edition)
gesunden Hand ziehe ich die Flasche zu mir heran. Schal schmeckt es nicht mehr ganz so gut.
» Ach Andi, weißt du was, ich habe eine klasse Idee: Ich komme mit!«
Pffft! Ich pruste einen Schwall Kölsch aus, der auf meinen Radiowecker niederregnet. » Waaas?«
» Na hör mal, ich kann dich doch jetzt nicht alleine lassen. Gut, eigentlich hätte ich zu tun, eine Menge sogar, aber ich lasse dich doch nicht hängen!« Ja, das ist das Gute an unseren Müttern, auf sie ist Verlass. Und sie müssen uns lieb haben, ob man das nun gerade will oder nicht.
» Mutti, das … äh … ist lieb gemeint … nur … ich meine …«
» Auf der Reise kannst du mir doch alles schön erzählen.«
» Das schon … aber … also …«
» Was stammelst du denn so? Andi, hast du getrunken?« Ja, aber das ist gerade nicht der Punkt.
» Mein Junge, es ist doch nur zu deinem Besten!« Das meint sie wirklich so, zweifellos.
So typisch, das ist jetzt mal wieder so typisch für sie! In den Siebzigern haben meine Eltern im Lotto gewonnen. Nein, nicht überhaupt mal irgendwas, sondern den Haupttreffer mit Zusatzzahl und allem Pipapo. Okay, Millionenbeträge gab’s damals noch nicht, ein hübsches Sümmchen war es dennoch. Sie haben das Geld angelegt. Nicht in Aktienfonds und sonstige Wertanlagen, nein, noch langfristiger. Anders als andere Lottogewinner haben sie den Gewinn in meine fünf Geschwister und mich investiert. Ja, sonst hätten sie sich uns gar nicht leisten können, wir wären gar nicht auf der Welt. Was schon zu unserem Besten ist, das steht außer Frage. Statt Sportwagen oder Segelyacht gab’s also ein Häuschen mit Kinderschar. Seitdem nennt Mutti uns liebevoll ihre »sechs Richtigen«.
» Haaallooo, Andi, bist du wieder eingeschlafen!?«
» Nee, es ist nur so …« Langsam richte ich meinen Oberkörper auf. » Ich verreise alleine.«
» Gut, gut, da komme ich mit! Du rufst heute noch den Reiseveranstalter an! Den Platz kannst du doch nicht verfallen lassen, was das kosten würde. Sag denen schöne Grüße von deiner Mutti, ich bin dabei!«
Verdammt. Ich kann es ihr nicht ausschlagen, jedenfalls nicht so direkt. Aber ich muss es ihr ausreden.
» Das ist ja gut und schön, du brauchst allerdings ein Visum von der vietnamesischen Botschaft in Frankfurt. Ich glaube nicht, dass die dir so kurzfristig eins ausstellen können. Ich hab’s dir doch erzählt, vier Wochen musste ich warten. Es sind noch fünf Arbeitstage bis zum Abflug, und dann noch der Postweg.«
Es ist einige Momente still in der Leitung, bevor Mutti wieder ansetzt. » Schade.«
» It’s a beautiful dayyy …« Mein Radiowecker springt an, auf dem grün beleuchteten Display ist es 7 Uhr. » … ohoo, beautiful day …« U2 haben keine Ahnung.
Ausgerechnet heute muss ich ins Büro! Für Husten, Schnupfen, Heiserkeit kann man sich krankschreiben lassen, aber was ist das schon im Vergleich zu Liebeskummer?
Ich meine, wie viel Tatendrang kann ich mit roten Augen überhaupt entfalten? Hölzern wie ein Zombie schleiche ich ins Bad.
Meine verheulten Augen lassen sich auch vom kalten Wasser nicht in den Normalzustand versetzen, wieder und wieder klatsche ich es mir über dem Waschbecken ins Gesicht. Ein frisches Handtuch trocknet meine Tränen, kann aber nicht meine Trauer fortwischen.
Ich hänge das Frottee über den Halter. Der Spiegel erledigt gnadenlos seinen Job als Realitätsreflektor. Auge in Auge stehe ich meinem optischen Echo gegenüber. Gruselig.
Wie oft habe ich genau hier mit meiner Kim gestanden und ihre Schönheit bewundert, ihr gewelltes Haar, ihre sanften Rundungen. Eine Frau, wie man sie sich wünscht.
Mir gefällt der Gedanke, in Selbstmitleid zu zerfließen. Doch, das steht mir zu. Ich sollte ihr Foto anjaulen und mich in Gefühlsgrütze tunken. Sie ist einfach aus meinem Leben verschwunden, mir ist wieder zum Heulen!
Also heule ich. Was fange ich jetzt mit diesem Urlaub an, ohne sie? Ich wische mir den feuchten Trauerflor aus dem Gesicht und versuche vernünftig zu überlegen. Wie wäre es denn, wenn ich einfach überhaupt nicht fahre? Ach was, darüber muss ich gar nicht erst nachdenken. Ich lasse doch nicht zwei Plätze in einer Gruppenreise verfallen! Schon aus Prinzip nicht, und erst recht nicht wegen so einer Polizeiperle. Ha!
Dann fahre ich eben alleine und habe meine Ruhe. Wirklich wahr, dann doch lieber ein leeres Bett neben mir, auf das ich Klamotten pfeffern kann, das immer frisch gemacht ist und das mir den ganzen Urlaub
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