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Muschelseide

Muschelseide

Titel: Muschelseide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Ricardo für ihn zurecht schob.
    »Sie hatten Glück«, sagte dieser, »dass meine Tochter in der Nähe war.«
    »Ich verdanke ihr mein Leben«, erwiderte Kazuo.
    Ricardo nickte.
    »Ja, sie ist groß und stark und verliert selten die Nerven.« »Oh, ich war ganz schön aus der Fassung«, erwiderte ich
    etwas verlegen. »Ich hatte noch nie zuvor jemanden gerettet.« »Na ja«, sagte Ricardo betont gelassen, »immerhin hattest
    du theoretischen Unterricht.«
    Er trat auf das kleine Barschränkchen zu, stellte Gläser mit behutsamen Gesten in eine Reihe.
    »Ich nehme an, dass Sie hungrig sind, und habe Domenica gebeten, das Essen heute früher aufzutragen. Was möchten Sie trinken? Whisky oder Gin? Ich habe auch guten, kühlen Weißwein, wenn Sie ihn lieber mögen.«
    »Eigentlich hätte ich jetzt gern ein Glas Wein«, sagte Kazuo.
    Ich sagte, dass ich den Wagen in die Garage bringen wollte, kam dann zurück und machte mich etwas frisch, bevor ich mich wieder zu den Männern gesellte. Ich fand beide, wie sie sich angeregt über Private-Equity-Fonds unterhielten. Dass Ricardo den Gast tatsächlich zu mögen schien, beruhigte mich, denn er schenkte seine Freundschaft keineswegs jedem. Er würde jetzt über Bankgeschäfte, Politik, Philosophie, über die Lebensformen auf Malta und in der übrigen Welt mit ihm sprechen. Und natürlich würde er Schach mit ihm spielen und die ersten Partien unweigerlich gewinnen, bis Kazuo seine Tricks heraus hatte. Ich stellte selbst mein Getränk zusammen: Limonade, etwas Gin, Zucker und Zitrone. Inzwischen ließen sich Kazuo und mein Vater in ihrem Gespräch nicht stören, und ich drehte meinen Kopf nach rechts oder links, ohne mich einzumischen. Ich war zufrieden und ruhig, alles lief ja bestens. Ich entdeckte, dass mein Vater und Kazuo sich keineswegs auf ungleicher Basis begegneten und zwischen ihnen ein zartes, sicheres Gefühl im Entstehen war, eine Anziehungskraft, anders im Ton zwar, doch ähnlich an Intensität. Darüber hinaus pflegten beide eine bestimmte, zum rein Geistigen hin strebende Gesinnung, ein Bestreben, die Lebensform in dem zu suchen, was echt war und von guten Manieren geprägt. Dann, als Domenica etwas später meldete, dass das Essen bereitet sei, fragte mein Vater, ob Francesca auch zu Tisch kommen wollte. Wir erfuhren, dass sie uns durch ihre Gesellschaft ehren würde, aber noch einen Augenblick brauchte, um sich zurechtzumachen.
    »Stellen Sie sich vor«, sagte Ricardo zu Kazuo, »dass ich sie seit zwei Tagen nicht gesehen habe. Sie arbeitet sehr intensiv, lässt sich das Essen in ihr Zimmer tragen und kommt erst zum Frühstück, wenn ich schon auf dem Weg zum Country Club bin. Immerhin habe ich ihr ausrichten lassen, dass wir Besuch haben. Wahrscheinlich ist sie neugierig.«
    »Sie war in Japan, nicht wahr?«, sagte Kazuo.
    »Ein paar Mal, soviel ich weiß. Aber das wird sie Ihnen gewiss selber erzählen.«
    »Wenn sie gut aufgelegt ist«, brummte ich, eine überflüssige Zwischenbemerkung, die Kazuo mit einem Blinzeln registrierte, Ricardo jedoch unbeachtet ließ.
    Der Augenblick dauerte zehn Minuten. Dann öffnete sich die Tür, und herein trat – ohne anzuklopfen – Francesca. Dabei verweilte sie ein paar Atemzüge lang an der Schwelle, als folge sie den Anweisungen einer untadeligen Regie. Sie trug Rot, wie immer; ein leichtes Gewand, das hochgeschlossen war, um ihren welken Hals zu verdecken. Sie hatte genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, um sich in ästhetischer Form in Szene zu setzen, als sei sie selbst ein zeitgenössisches Kunstwerk, das es zu dechiffrieren galt. Ja, perfekt, dachte ich, aber, verdammt, was willst du damit erreichen, Francesca? Draußen waren die alten Häuser noch in tiefes, von Sonnenlicht gesättigtes Orange getaucht, aber im Raum war es bereits schattig-dunkel geworden, und die altmodischen Muranolampen mit den matt gewordenen Vergoldungen brannten in ruhigem Schein. Das auf diese Weise entstandene Hell-Dunkel verlieh Francescas Auftritt eine ganz besondere Dramatik. Ihr makellos gepudertes Gesicht, das lackschwarze, hochgesteckte Haar, die stark geschminkten Augen verwandelten sie in eine Art Fabelwesen, im Zwielicht eingefangen wie ein Bild hinter Glas. Mit gelassener Ruhe trat sie näher, sich ihrer Wirkung voll bewusst, und bei jedem Schritt leuchtete ihr Gewand im wechselnden Spiel der Falten aprikosenfarben und rubinrot. Beide Männer hatten sich erhoben, Kazuo allerdings mit einiger Mühe. Mein Vater schickte sich an,

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