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Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition)

Titel: Mut für zwei: Mit der Transsibirischen Eisenbahn in unsere neue Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Malchow
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ein.
    Die Halle ist marmorgefliest. Zu unserer Rechten kann ich am Ende des Ganges artig aufgereihte Holzstühle erkennen und tippe auf Hotelrestaurant. Zu unserer Linken laden beige-braune Cordsofas zum Loungen ein. Wir nehmen Platz und genießen den Blick auf eine meterlange geschwungene Rezeption aus dunklem Holz mit goldenen Beschlägen, in die ein Aquarium mit vielen bunten Fischen und aufgemalter Rifflandschaft eingelassen ist. Darüber prangen fünf Uhren: London, Paris, Moskau, Peking und Irkutsk. Zwei Männer mittleren Alters in dunklen Anzügen sprechen mit der Rezeptionistin. Ein junger Mann blättert in den ausliegenden Prospekten.
    Ich lasse mich tief in die beige Wolke sinken, lege Levi über meine Oberschenkel und bestelle ein Bier auf den Schreck. Eigentlich trinke ich gar kein Bier. Aber vielleicht beschert mir diese Reise ja nicht nur ein neues Leben, sondern auch einen neuen Geschmack, wer weiß. Levi schaukelt seine Hüfte hin und her, und mit einem Satz stehen seine Füße auf dem Boden. Er will los. Ich halte seine Hände fest. Hebe ihn wieder auf meinen Schoß. Er wehrt und windet sich. Sein ausgestreckter Arm deutet auf die Rezeption. Also gehen wir hin, er auf meinem Arm. An meiner Hand gehen ist unter seiner Würde. Allein oder gar nicht.
    Ich setze Levi vor den Fischen ab. Er beobachtet mit leuchtenden Augen einen orange-weiß-gestreiften Clownfisch. Nach einigen Minuten der Observation versucht Levi, mit den Händen die Bahnen des Clowns nachzuziehen. Ich schaffe es, seine Aufmerksamkeit auf einen nicht so agilen großen grauen Fisch zu lenken, aber auch der bewegt sich. Der Marmorboden wirkt frisch gewischt, die Feuchttücher stecken in meinem Rucksack, also gut: Ich ziehe mich zurück auf die Wolke und beobachte meinen Sohn, wie er fröhlich quiekend mit den Fischen auf und ab schwimmt. Nach einigen Minuten lösen sich die Verbände, und Levi macht eine Fischpause, um den ergrauten Mull in die Höhe zu halten und sich immer mehr darin zu verwickeln. Mir bleibt, das Schauspiel aus der Ferne zu genießen und alle paar Minuten Levis Hände mit Feuchttüchern zu reinigen. Und danach mit Taschentüchern zu trocknen.
    Nach einer Stunde merke ich, wie meine Schultern von den Ohren Richtung Hüfte sinken. Ich atme tief ein und aus und höre das Piepsen, das den Erhalt einer SMS verkündet. Dieses Piepsen, das oft so normal ist und routiniert mit einem gelangweilten Blick auf das Display gekontert wird, entfaltet hier im Mayak die Kraft eines Rettungsreifens: »Heute relaxen, morgen entscheiden! Kuss, M.«
    Gerade mache ich ein paar Fotos von Levi dem Baikalbiologen, als sich eine vollschlanke platinbelockte Frau mittleren Alters in pinkem T-Shirt, weißem ausgestelltem Rock über rosigen Beinen, die in weißen Sandalen mit Korkabsatz stecken, vor mir aufbaut: »Where are you from?« , beginnt sie das Verhör in Zeitlupensprache mit breitem Liverpoolakzent. Where – are – you – from ? Kein üblicherweise smalltalkeröffnendes »Hi, how are you?« oder »Lovely weather today« . Sie reckt mir ihren Kopf entgegen, mit großen Augen und geöffnetem Mund.
    »From Munich« , sage ich. »And you?«
    Ihr Unterkiefer klappt nach unten, ihre Augen bekommen etwas latent Feindseliges. »Munich?!« , ruft sie. »You are not Russian? What the hell are you doing here?« Sie lacht nicht dazu. Sie meint es tatsächlich ernst.
    Ich habe weder Lust noch Kraft für ein Streitgespräch, also schaue ich der Dame nur in die Augen.
    Blondie verwurstelt noch brave und crazy und good luck irgendwie zu einem Satz, um im Aufzug des Mayak zu verschwinden und vermutlich mit Blick auf den Baikal einen Gin Tonic zu trinken.
    Eigentlich hatte ich sie ja gar nicht um ihre Meinung gebeten. Aus meiner Zeit vor Levi habe ich keine Erfahrung mit ungebetenen und ungehaltenen Meinungsäußerungen wildfremder Menschen. Bin ich als Mutter eines Babys eigentlich ein Automat, bei dem man Ratschläge und Kritik ungefragt ablassen kann?
    Levi hockt mittlerweile auf dem Schoß der Rezeptionistin und zählt mit ihr Spielzeugrobben. Vermutlich für den Hotelshop. Oder ein authentisches Souvenir für eine englische Reisegruppe. Ich frage nach einem Zimmer mit Balkon, gerne auch ein bisschen größer, damit Levi krabbeln kann, und erfahre, dass die Penthousesuite im obersten Stock mit großer Dachterrasse morgen verfügbar ist.
    Klingt doch nach einem Plan B , sollten sich die Wolken aus Panik und Sorge am Himmel über Bolschije Koty nicht

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