Mutproben
beobachten, wie sich plötzlich auch seine eigenen Leute von ihm abwandten und mir das größere Vertrauen entgegenbrachten. Schill war endgültig die Kontrolle über sich und über die Situation entglitten. Natürlich fragte ich mich in diesem Moment, ob ich vielleicht doch hätte vermeiden können, dass es soweit kommt. Vor allem, nachdem ein enger Vertrauter Schills später zu mir kam und erzählte, dass Ronald Schill während der Pressekonferenz seine Waffe mit dabei gehabt hatte. Er selbst, so der Kollege, hätte während dieser halben Stunde große Angst gehabt, dass dieser die Waffe zückt. Natürlich wusste ich, dass Schill einen Waffenschein besaß, das hatte schließlich groß in der Presse gestanden. Aber ich war immer davon ausgegangen, dass er seinen Revolver im Nachtschrank deponierte und nicht mit sich herumschleppt. Allein die Vorstellung, dass
Schill mit einer scharfen Waffe neben mir saß, mit allen damit verbundenen Gefahren, war – gelinde gesagt – wie eine Szene aus einem schlechten Western-Film.
Als einige Monate später noch Paparazzi-Fotos von Ronald Schill in Brasilien auftauchten, mit äußerst sparsam bekleideten Frauen im Arm und auf einem youtube-Video vermutlich Kokain schnupfend, da dämmerte mir so manches. Mit Kokain kenne ich mich zwar nicht aus, aber ich erinnerte mich an die Anfänge, als wir noch in den Koalitionsverhandlungen steckten und Ronald Schill jede Stunde auf die Toilette rannte. Wir wunderten uns damals alle, was der dort wohl so oft macht. Aber wir schmunzelten eher darüber. Mit Kokain hatten wir das überhaupt nicht in Verbindung gebracht. Wir meinten, dass er unter seiner schusssicheren Weste vielleicht schwitzt, und er müsse diese von Zeit zu Zeit mal ausziehen und sich durchlüften. Auch später hatte es ja die Vorwürfe gegen ihn gegeben, er habe Kokain geschnupft, und so war er dann zur Haarprobe nach München geflogen. Bewiesen werden konnten die Vorwürfe damals nicht. Aber im Nachhinein macht man sich so seine Gedanken.
Mein unfreiwilliges Outing
Der Eklat mit Schill und die öffentliche Pressekonferenz wurden gleichzeitig mein Outing als Homosexueller. Ich selbst wollte nie ein solches Outing, wollte nie über private Details meines Lebens öffentlich sprechen. Das fiel mir schon immer schwer. Ich war der Ansicht, dass etwas so Privates,
etwas so Persönliches wie die eigene Sexualität einfach nicht an die Öffentlichkeit gehört.
Dass Klaus Wowereit damals zum Amtsantritt seinen berühmt gewordenen Satz sagte: »Ich bin schwul, und das ist auch gut so«, war durchaus schwierig für mich. Alle in meiner Partei wussten davon, auch den Journalisten und den meisten Leuten aus der Opposition war klar, dass ich schwul bin. Es war also ein offenes Geheimnis. Aber ich hatte schlicht und ergreifend keine Lust, geoutet zu werden, weil ich die Konsequenzen für mich nicht abschätzen konnte. Und ich wollte nicht wie Klaus Wowereit werden, der nach seinem Bekenntnis zunächst für alle nur noch der Schwule Bürgermeister war und eben nicht mehr der Bürgermeister Berlins. Im übrigen halte ich Homosexualität für nicht so wirklich spannend, sondern für normal. Normales braucht man nicht zu outen – das war meine Devise.
Dies um so mehr, als ich mein Schwulsein auch nie versteckt habe. Glücklicherweise gehörte ich zu jenem Jahrgang, der nicht mehr betroffen war vom Paragraphen 175, der die Homosexualität unter Strafe stellte. 1969 kam es zu einer ersten Reform, 1973 zu einer zweiten, und seither wurden nur sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter achtzehn Jahren (heute unter sechzehn Jahren) juristisch verfolgt. Für mich und meine Freunde war das kein Thema mehr. Ich begann schon in der Pubertät, meine Sexualität auszuleben. Ich spürte damals ganz deutlich, dass ich mich für Jungs interessierte. Auf Klassenfahrten und in der Schule machte ich meine ersten Erfahrungen. Und am Kiosk besorgte ich mir
Szene-Zeitschriften, um zu schauen, was es so gibt. Anfangs schlich ich noch um einschlägige Lokale herum und traute mich nicht recht rein. Aber schon nach kurzer Zeit verlor ich die Schüchternheit und verkehrte dort häufig. Das alles war aber ziemlich unspektakulär. Die Atmosphäre war weder frivol noch geheimnisvoll, sondern fast bürgerlich, manchmal sogar spießig.
Mein Privatleben habe ich jedoch immer von meinem Parteileben getrennt. Obwohl ich mich nie damit versteckt hatte, trennte ich die Freundeskreise. Es gab die Parteifreunde aus der
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