Mutter des Monats
Mit dem Bescheid wissen hatte sie nicht viel Erfahrung. Ihre eigene Beziehung zu Guy hatte sich, nun ja, vorsichtig entwickelt, so konnte man das wohl bezeichnen. Sie hatten sich in der Oberstufe in einer Disco kennengelernt und mit dreißig geheiratet. Georgina hatte die Hochzeitsrede gehalten. Sie hatte erzählt, wie spannend es gewesen sei, Heathers Beziehung wachsen zu sehen – so spannend wie das Liebesspiel von Pandabären. Dann hatte sie den Tierfilmer David Attenborough im Bambus parodiert, ganz stolz, und alle hatten gelacht. Eigentlich war das ein bisschen unverschämt gewesen, dachte Heather jetzt.
»Er ist wohl mal mit einer Sängerin liiert gewesen.« Heather wollte Colette unbedingt alles erzählen, was sie über Mr – ähm – Tom wusste.
»Echt jetzt?« Colette war entzückt. »Das wundert mich nicht.«
»Und die war vorher mit einem Fußballspieler zusammen …« Noch während sie das Gerücht ausplauderte, kamen Heather erste Zweifel an seinem Wahrheitsgehalt.
»Na ja, er ist sehr attraktiv.« Colette inspizierte ihre Nagelhaut.
»Hast du’s Bea schon erzählt?« Diese Frage stellte Heather aus mehreren Gründen. Hatte Colette sich etwa zuerst ihr anvertraut? Noch vor Bea? Allein bei der Vorstellung wurde Heather ganz aufgeregt. Doch gleichzeitig musste sie herausbekommen, was Bea davon hielt, wenn eine von ihnen eigenmächtig eine Beziehung mit dem neuen Rektor einging.
»Bea?« Zum ersten Mal vernahm Heather etwas anderes als die übliche Bewunderung in Colettes Stimme. »Nein. Habe ich nicht. Das Ganze ist noch gar nicht spruchreif. Ich meine, ich habe noch nicht mit ihm geredet, obwohl ich nächste Woche einen Termin bei ihm vereinbart habe. Um mich mit ihm über meine Sorgen wegen Johnnys Leistungen zu unterhalten. Dabei habe ich gar keine!« Sie kicherte, doch dann verfinsterte sich ihre Miene. »Dass wir gut zusammenpassen, darauf hätte Bea auch von selbst kommen und uns verkuppeln können. Hat sie aber nicht.«
Colette erhob sich, schnappte sich die Becher, wandte sich um und erblickte den Wäscheberg.
»Weißt du was? Du hast recht! Wir müssen dieses fürchterliche, stinkende Zeug nicht waschen.« Sie trat gegen den nächstgelegenen Sack.
Heather war schockiert. »Aber Bea hat gesagt, wir nehmen mehr Geld ein …«
»Ja, klar. Wie viel mehr? Zehn Cent? Zwanzig? Ist doch scheißegal!«
»Aber sie …«
»Heather! Sie ist noch nicht mal hier. Sie wird es gar nicht merken!«
»Oho«, sagte Heather und »Holla!« und »Aber …« und »Sie hat doch einen Job …«
»Nichts aber.« Die neue Colette, die Heather nicht kannte, sprach im Befehlston. »Außerdem kommt gleich Lewis im Fernsehen. Schnapp dir einen Sessel. Ich mach dir dabei eine Mani- und Pediküre.«
Samstag, 7.30 Uhr
Heather marschierte auf dem Spielfeld auf und ab und versuchte, sich nicht zu übergeben. Seit zwei Tagen hatte sie nichts als Kuchenteig gegessen, ihn vom Rührlöffel geleckt, und sie war sich nicht sicher, ob ihr Magen das vertrug. Obwohl sie keinen Appetit hatte, fühlte sie sich unterernährt. Außerdem war sie völlig übermüdet, weil sie vor lauter Lampenfieber kein Auge zugetan hatte. Die ganze Nacht hatte sie sich hin- und hergewälzt, während ihr ständig die Worte »wichtige Spendenaktion für die Schule« im Kopf herumgegangen waren.
Ihre Jacke wies sie als »Ordner« aus, das stand in großen schwarzen Lettern auf der neongelben Vorder- und Rückseite, damit sie sofort gefunden wurde, falls es zu Handgreiflichkeiten käme. Denn das kam bei Kofferraum-Flohmärkten schon mal vor. Hatte sie recherchiert. Sie wusste, dass die echten Profis, die mit den ausgefahrenen Ellbogen und den dicken Geldbündeln, besonders schwierig sein konnten. Wenn zwei dieser Profis auf dieselbe Ware scharf waren, dann konnte es richtig fies werden. So viele Unwägbarkeiten …
Die armen normalen Mütter und Väter, die es einfach nur gut meinten und mal vorbeischauen wollten, hatten bestimmt keine Ahnung, was sie erwartete. Heather wusste – aus dem Internet –, dass die »Kunden« einen umringten wie die Affen im Safaripark, kaum dass man das Auto abgestellt hatte. Noch bevor man den Motor ausmachen konnte, kletterten sie aufs Autodach und versuchten, mit ihren langen, schmutzigen Fingern die Fenster aufzuhebeln, um alles zu greifen, was nicht niet- und nagelfest war.
Guy hatte vorgeschlagen, eine Liste von Verhaltensregeln zusammenzustellen – das hatte der Reiseleiter von Thomas Cook auch gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher