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Mutter des Monats

Mutter des Monats

Titel: Mutter des Monats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Hornby
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Deborah herrschte komplett tote Hose, das konnte Rachel deutlich erkennen. Sie saß hinten auf dem Kofferraum und ließ die langen Beine baumeln wie auf einer Jacht. Obwohl der Himmel zugezogen war, trug sie eine Sonnenbrille auf dem Kopf. Ihre Augen waren geschminkt und die Lippen glänzten. »Armani!«, rief sie, »Lacoste!«
    Bei der netten Neuen versammelten sich anscheinend nur Kunden mit Manieren. Stellten sich ganz brav an. Warum war Rachels Kofferraum der Einzige, über den sie herfielen wie die Hottentotten? Das musste an den Sachen liegen, die aus ihrem früheren Leben stammten. Die Leute wuselten und wühlten in ihrem Auto herum wie Maden in einer Leiche: die verwesende Leiche ihrer Ehe. Chris’ Sachen hätte sie schon dreimal verkaufen können. Offenbar gab es eine große Nachfrage nach miesen, fünfzehn Jahre alten Hochzeitsgeschenken von Verwandten des Ehemannes.
    »Tut mir leid«, rief sie zum zigsten Mal, »das steht nicht zum Verkauf!« Immer wieder sah sie zum Eingang.
    Musste man eigentlich Mutter sein, dachte sie, um aus vierzig Metern Entfernung zu erkennen, dass ein Kind weint, auch wenn es in einem Karton steckt? Scarlett Stuart, die Tochter von Bea, und eine Gruppe Mädchen im Disco-Look samt Handtäschchen liefen vor ihr auf und ab. Jedes Mal, wenn sie an ihr vorbeikamen, bogen sie sich vor Lachen, das konnte Rachel deutlich sehen. Sie fragte sich, ob Poppy das Lachen im Karton hören konnte. Warum hatte sie ihr Kind nur in diesem Aufzug losziehen lassen? Es gab keine Möglichkeit, sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. Sie kam ja nicht mal an ihr Handy, weil die wild gewordenen Flohmarktidioten sie komplett eingekesselt hatten.
    »Fünfzig Pence.«
    Sie hatte einen Albtraum und wachte einfach nicht auf.
    »Ja, gut, fünfundzwanzig, passt.«
    Vielleicht war es doch eher eine Panikattacke.
    Die nette Neue von nebenan reichte ihren Jungs eine große Platte Schokoladengebäck. »Tragt das mal rüber zum Kuchenstand, ja, Felix?« Dann trat sie an Rachels Volvo, legte ihr die Hand auf den Arm und sah ihr direkt ins Gesicht.
    »Verzeihung.«
    Ach, was für eine wunderbare Stimme.
    »Alles klar?«
8.35 Uhr
    Heather ließ Trillerpfeife und Schürze sinken und gab sich geschlagen. Unglaublich. Sie hatte Süßes serviert, wo doch alle Salziges wollten, hatte auf Bäckerei gesetzt, wo alle einen Imbiss erwarteten. Ihr war kotzübel. Dieses Gefühl kannte sie, so war es ihr schon damals beim Sport immer gegangen. »Heather, warum hast du den Ball nicht abgegeben? War doch klar, dass du nicht triffst!« oder »Heather, warum hast du nicht geschossen? Nicht abgeben, du Idiotin!« Die Tatsache, dass sie dieses Gefühl nie losgeworden war, tat ihr mehr weh als das Gefühl selbst.
    Und wieder hast du versagt, dachte sie. Heather, du hast das Team im Stich gelassen und damit auch dich selbst. Sie ließ den Blick über das unberührte Blech mit Zitronenkuchen wandern. Sie hatte sich so viel Mühe gegeben, hatte alles gewissenhaft nach Rezepten von Delia Smith gebacken. Und trotzdem danebengegriffen. Wie jämmerlich und schrecklich peinlich.
    Beas Schürze war ihr an manchen Stellen zu eng. Man sollte doch meinen, dass die eine Universalgröße hätten, das wäre doch viel sinnvoller. Sogar am Nacken war sie ihr zu eng. Der ganze Vormittag war eine einzige Schlappe gewesen und je schneller er vorbei … – So! Die Schürze war festgezurrt, jetzt mussten nur noch die hungrigen Mäuler gestopft werden.
    Aber was war das? Während sie mit der Schürze gekämpft hatte, war ein riesiges Blech mit köstlichstem Backwerk aus Schokolade aufgetaucht. So was Feines hatte sie ja noch nie gesehen! Schokolade mit einer Füllung aus Biskuit und – was war das? Maltesers. Hm, das duftete! Und gleich so viel davon.
    Wer hatte das denn hergezaubert?
    »Da können Sie jetzt nicht hingehen.« Innerhalb von fünf Minuten hatte die nette Neue mit den Ballerinas wie ein Fünf-Sterne-General das Kommando übernommen, und Rachel wären vor Erleichterung fast die Tränen gekommen. Zuerst hatte die Frau den Volvo in ihre Gewalt gebracht. Das war ganz leicht gewesen, sie hatte nämlich einfach den Kofferraumdeckel zugeschlagen, und schon waren die aufdringlichen Kunden verschwunden. Jetzt kümmerte sie sich um das Wohlergehen der gesamten Familie Mason. »Sie können da jetzt nicht hingehen. Das ist ihr schon peinlich genug. Wenn Sie jetzt noch zu ihr gehen, machen Sie alles noch schlimmer.« Ihre Stimme klang ruhig und

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