Mutter des Monats
wieder an den Tisch gesetzt hatte, stank nach Rauch. »Gib rüber, Colette. Ich kann noch mehr vertragen.«
Ein Soufflé nach dem anderen wurde Georgina hingeschoben, bis die Dessertteller einen Halbkreis bildeten, der sie vom Rest des Tisches abschnitt. Schweigend nahm sie sich eins nach dem anderen vor.
»Ich würde gern eins essen, aber ich bin so fett. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist«, jammerte Jasmine, die nach Heathers Meinung streichholzdünn war.
»Ich bin noch fetter, schaut!« Sharon hatte ihre Bluse aus der Hose gezogen und präsentierte eine mit den Fingern zusammengequetschte Bauchfalte.
»Mein Hintern …«, Colette stand auf und drehte sich um, »… war noch nie so dick wie jetzt.« Sie wackelte demonstrativ mit dem Allerwertesten. »Gibt es vielleicht eine Krankheit, bei der der Hintern unkontrolliert wächst? Giganteritis oder so was?«
»Hör auf! Dickporrhö!«, kreischte Jasmine und sprang auf.
Heather schleckte grinsend die Schokolade vom Löffel. Plötzlich herrschte hier richtig gute Stimmung. Das lag wohl auch daran, dass Georgina mit den Soufflés beschäftigt war und keine schlechte Laune mehr verbreitete. Aber nicht nur das. Eine neue Fröhlichkeit lag in der Luft. Alle sprangen herum, kreischten und kicherten. Sie bildeten eine Gemeinschaft. Eine Einheit. Alle saßen in dem einen Boot, was Heather so mochte, und ruderten gemeinsam. Es war so wundervoll anzusehen.
Jemand hatte ein Maßband gefunden, und nun kletterten sie der Reihe nach auf den Tisch, um festzustellen, wie breit ihre Hüften und Taillen genau waren. Heather amüsierte sich köstlich. Jede wollte beweisen, dass sie die Dickste war, und dabei waren sie doch alle magere, zierliche Dinger. Georgina konnte nicht mitmachen, weil sie spindeldürr war, außerdem machte Georgina nie bei irgendwas mit. Sie war eben keine Mitmacherin. Auch Clover hockte immer noch auf ihrem Stuhl, und das, obwohl Clover auch nicht gerade die Schlankste war. Seltsam. Vielleicht war sie auch keine Mitmacherin. Heather aber war eine, und wie! Nichts lieber als das. Sie sprang auf und kletterte auf den Tisch.
»Ich bin am fettesten! Wetten? Ich bin dicker als ihr alle zusammen.«
Colette sah zu Bea, die zuckte mit den Schultern und nickte dann. Also wickelte sie das Maßband um Heathers Hüfte und ließ es wieder zurückschnellen.
»Hm. Ähem. Stimmt. Du hast gewonnen.«
»Ha! Hab ich’s euch nicht gesagt?«, flötete Heather.
Keine gratulierte. Alle blieben stumm und mieden Heathers Blick. Zusammenhalt beendet. Sie bildeten keine Einheit mehr. Die Frauen setzten sich wortlos auf ihre Plätze. Alle Freude war gewichen, der Spaß vorbei. Heather fragte sich, was wohl passiert war. Offenbar hatte es etwas mit dem Unterschied zwischen echtem Fettsein und vorgetäuschtem Fettsein zu tun. Obwohl sie ja auch nicht ernsthaft fett war. Oder doch? Sie versuchte zwar immer noch, die Sache zu verstehen, aber so viel stand schon mal fest: Heather saß nicht mehr im selben Boot, sondern war – platsch! – im kalten Wasser gelandet und hielt sich mit aller Macht fest.
Sie kletterte wieder vom Tisch, schlich auf ihren Platz und blickte auf der Suche nach Solidaritätsbekundungen in die Runde. Wie sie sah, hatte Georgina alle Soufflés verspeist und schlief tief und fest wie eine Pythonschlange nach der Fütterung.
»Nun denn«, sagte Bea. »Wer hatte sich zum Kaffeekochen gemeldet? Ich habe die Liste nicht im Kopf … Ach, du Schreck! Schaut mal auf die Uhr. Gleich müssen wir die Kinder von der Schule abholen! Hilfe, meine Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld!« Sie lachte, rührte sich aber nicht von der Stelle.
»Ich muss erst um Viertel vor fünf da sein«, sagte Heather. »Maisie hat heute Nachmittag Judo. Kann ich dir helfen?«
»Ach, Heather! Du bist einfach wunderbar.« Bea erhob sich und umfasste Heathers Schultern. »Gott, diese Frau ist eine Wucht.« Heather fühlte sich auf einmal pudelwohl. Der Unmut, den sie eben noch wegen der Maßband-Aktion verspürt hatte, war wie weggeblasen. Fast so wie in der Kirche, wenn der Priester einem bei der Kommunion die Hand auflegte. Auch wenn man nicht völlig überzeugt von diesem ganzen Gottesding war, ging es einem danach immer ein bisschen besser. Zumindest war das bei Heather so. Und genau so erging es ihr jetzt: Bea hatte ihr die Hand aufgelegt. Sie war gesegnet worden.
»Wenn du fertig bist, bevor ich wiederkomme, ziehe einfach die Tür hinter dir zu, ja?« Bea hielt inne, schlug
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