Mutter des Monats
Stift, dass Heather ihr die Hand auf die Schulter legte, um sie zu trösten. »Weißt du, ich sollte das zwar nicht sagen, aber ich habe das Gefühl, dass es gar nicht so weit kommen wird. Ich habe dir doch gesagt, dass mein Hausarzt die Sache zwar ernst nimmt, aber nicht total entsetzt war.«
Mit mitleidig-feuchtem Blick wandte sich Bea Heather zu. Keiner hatte einen derart mitleidigen Blick wie Bea, und in diesem Augenblick hatte sie ihr Mitleid auf volle Stärke hochgefahren.
»Du musst bedenken, dass so was für Ärzte zur Routine gehört.« Sie drückte Heathers Arm. »Eine von drei Frauen erkranken daran, meine Liebe. Eine von drei. Das darfst du nicht vergessen.«
»Ja, aber …« Heather kam das alles nicht ganz richtig vor. Irgendwie verdreht, sie konnte es nicht genau erklären. Egal, heute war sowieso alles anders. »… er hat doch gesagt, der Form nach sei der Knoten eher harmlos, oder?«
Bea verdrehte die Augen.
»… und dass die Hormonbehandlung wegen meines Kinderwunschs genau solche Folgen haben kann …«
»Hör zu.« Bea suchte auf dem Stuhl rutschend nach den richtigen Worten. »Du musst dir klarmachen, dass ich vor noch nicht ganz einem Jahr die arme Laura verloren habe.« Heather hatte gar nicht gewusst, dass Bea und Laura so eng befreundet gewesen waren. Sie hatte die beiden nie zusammen gesehen. Aber das machte die Sache natürlich viel, viel schwerer für Bea. »Und mein Motto bei Krebs lautet: Realismus geht vor Optimismus. Von Anfang an. Du wirst so viel durchmachen müssen, Liebes. Enttäuschungen solltest du dir ersparen, denn die allein sind schon schwer zu ertragen. Also.« Sie strich Heather übers Haar, hob ein paar Strähnen und betrachtete sie stirnrunzelnd. »Hmmm. Wollen wir es mit der Kühlhaube versuchen? Oder lohnt sich das gar nicht?«
Da hatte Heather plötzlich ein Bild von sich vor Augen, wie sie in einem Zimmer saß, eine Kühlhaube auf dem Kopf. Mit ganz viel Realismus. Und keinerlei Optimismus. Man hatte sie für mittwochs eingetragen, und Bea musste deswegen ihre Golfwoche absagen. Heather sackte in sich zusammen und saß auf einmal unendlich schwer auf dem harten Plastikstuhl. Sie hatte Heimweh. Sie wollte Georgina. Sie wollte Rachel. Sie wollte Guy, ganz, ganz doll!
13 Uhr: Mittagspause
Bis Heather das Parkticket bezahlt hatte und wieder beim Auto war, hatte Bea bereits den ersten Anruf getätigt.
»Ich weiß. Schwein gehabt. Jedenfalls habe ich gedacht, ich setze dich am besten sofort in Kenntnis.«
Heather ließ den Motor an und fuhr rückwärts aus der Parklücke.
»Nein, keine Sorge. Ich rufe sie an. Hab ich ihr versprochen.« Bea beendete den Anruf.
»Wer war das?«, fragte Heather, als sie auf die Straße fuhr.
»Nur Colette.« Bea klickte sich durch ihr Telefonverzeichnis. »Geht es dir wieder gut, Liebes?« Doch bevor Heather antworten konnte, hatte Bea schon wieder das Handy am Ohr und den Finger in der Luft.
»Hi, Clover. Du glaubst nicht, was rausgekommen ist. Gutartig ! Ich weiß . Ist mir auch zum ersten Mal passiert. Ich weiß . Mache ich. Ach, wie lieb von dir.«
Heather hatte sich schon lange keine Sorgen mehr um sich selbst gemacht. Es war ihr einfach nicht in den Sinn gekommen, seit sie Guy geheiratet und Maisie bekommen hatte. Ihre größte Angst galt der Trauer. Der Verlust ihrer Tochter oder ihres Mannes, das waren Befürchtungen, die sie nachts wach und jede Minute des Tages auf Trab hielten. Sie war fast zwanghaft morbide, führte in Gedanken ein Notizbuch, in dem sie die schrecklichen Geschichten vermerkte, die sie so hörte, wie die von dem kleinen Burschen, der im Kindergartenalter Leukämie bekommen hatte, oder die von der Familie aus St. Ambrose, deren Tochter auf Mallorca ertrunken war. Wenn sie manchmal nachts nicht schlafen konnte und ihr sowieso elend zumute war, dann kramte sie es hervor, ging die Geschichten in allen Einzelheiten durch, versetzte sich in die Lage der Leidtragenden und konnte sich dermaßen hineinsteigern, dass sie ihr Kissen vollschwitzte und in die Bettdecke beißen musste, um Guy nicht zu wecken, weil sie wusste, wie ärgerlich er über das sein würde, was sie sich antat. Doch sie konnte nichts dagegen machen.
Sie hatte es fast als willkommene Abwechslung empfunden, als sich ihr am Wochenende völlig neue Varianten ihrer morbiden Fantasie aufgetan hatten. Normalerweise machte sie sich damit verrückt, sich Polizisten an der Haustür vorzustellen, die ihr von Guys Unfall berichteten – obwohl er
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