Mutter des Monats
ablesen – die Colette für ihr besonderes Schönheitsmerkmal hielt –, und es wäre typisch, wenn sie sich jetzt doch noch verraten würde. Die letzte Woche war ihr schwergefallen, jeden Morgen hatte sie Rachel, jeden Nachmittag Georgina aus dem Weg gehen müssen und sich auch bei den sportlichen Aktivitäten der Gruppe nicht blicken lassen. Doch Bea hatte sicher recht: Es wäre viel einfacher, wenn nicht alle Welt erfuhr, was sie gerade durchmachte.
Langsam zog die Welt von St. Ambrose an ihrem Fenster vorbei, in der die anderen ihrem alltäglichen Leben nachgingen. Im Seitenspiegel sah sie, wie Georgina Hamish im Kindersitz angurtete und Rachel zu ihr schlenderte, um sich mit ihr zu unterhalten. Die Sportgruppe, alle in Laufshorts, hatte sich um Colettes Polo versammelt, um drei Runden um den Fußballplatz zu drehen. Das wusste sie, weil Bea ihr trotz allem eine SMS geschickt hatte – damit es nicht zu sehr auffiel. Ashleys Mutter und ein paar andere trafen sich am Tor. Klar, heute fand das morgendliche Treffen der Weight Watchers statt. Irgendwie nahmen sie nie ab, die Armen, aber gut, dass sie es immer wieder versuchten. Alles war ganz normal, aber auf Heather – die ausnahmsweise hinter dem Steuer saß und Bea chauffierte, mit der sie noch nie allein im Auto gesessen hatte – wirkte alles so schmerzlich weit weg. Wie ein Film aus einer fernen Vergangenheit.
Heather richtete sich auf. Sie sollte nicht so negativ denken, wo sie sich doch glücklich schätzen konnte, dass Bea auf ihre Weise die Sache in die Hand genommen hatte: Gleich Montagmorgen war sie mit ihr zum Arzt gefahren und hatte sich extra frei genommen, um sie ins Krankenhaus zu bringen. »Ich kümmere mich darum«, hatte sie zu Guy gesagt. »Keine Sorge, später wirst du noch genug Urlaubstage brauchen. Bleib ruhig und mach so weiter wie bisher, das ist das Beste, was du im Moment für uns tun kannst.« Guy hatte trotzdem heftig widersprochen. Erst als Heather ihn mit einem ihrer höchst bedeutungsvollen Blicke traktiert hatte – da sieht man mal wieder, wozu ausdrucksvolle Augen gut sind –, hatte er sich gefügt. Er hätte sowieso keine Chance gehabt, denn Bea war beharrlich. Hatte sie erst mal einen Plan gefasst, konnte nichts und niemand sie davon abbringen, das musste Guy eben einfach akzeptieren. Bea hatte die Hand erhoben und verkündet: »Ich fahre sie selbst hin.« Und damit hatte es sich gehabt.
Oder hätte es sich gehabt, wenn Beas Auto nicht ausgerechnet heute ein bisschen gesponnen hätte. Es machte so ein kleines, komisches Geräusch – bestimmt die Stoßdämpfer, meinte Guy –, und das war Bea einfach zu riskant. Also fuhr Heather eigentlich Bea ins Krankenhaus, was ja nicht der Sinn der Sache war. Aber so konnte Bea wenigstens unterwegs ihre SMS und Mails schreiben – sie hatte ja so viel zu tun, und es war ein Albtraum, dass sie mitten in der Woche wegen Heather eine ganzen Vormittag frei nehmen musste. Außerdem war es ganz gut so, denn das Fahren lenkte Heather von ihren Sorgen ab.
11 Uhr: Große Pause
Sie warteten schon ewig. Heather hatte alle Frauenzeitschriften durch, und Bea schien auch nichts mehr zu finden, was sie noch auf ihrem Blackberry erledigen konnte.
»Erkläre mir doch noch mal, warum du keine private Krankenversicherung hast«, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. Artig erläuterte Heather ihr erneut, dass sie und Guy sowohl eine Renten- als auch eine Krankenversicherung wichtig fanden, das Geld momentan aber lieber für Maisies Ausbildung zurücklegen wollten, obwohl ihre Tochter natürlich nicht wie Scarlett war, Maisie würde die Welt nicht verändern, die Arme, aber sie las gern und könnte sich ja noch entwickeln, deswegen würden sie trotzdem erst mal für ihr Studium sparen, und dann …
Bea hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. »Danke«, sagte sie, »das war eine rhetorisch Frage.« Sie wühlte in ihrer Riesentasche herum und zog einen dicken Wälzer heraus, von dem Heather zuerst dachte, es handele sich um die Bibel oder Shakespeare oder so was. Er entpuppte sich aber als der Terminkalender der Familie Stuart. »Ich hoffe, sie tragen dich nicht für mittwochs ein, das wäre nicht gut für mich, Mittwoch. Wir müssen das gut planen.« Sie blätterte ein wenig herum. »Dann ist da noch die Woche im Mai, in der Tonys Eltern die Kinder nehmen, weil wir Golf spielen gehen …«
Dabei sah Bea so besorgt aus, sie hatte die Mundwinkel heruntergezogen und kaute so angespannt an ihrem
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