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Mutter des Monats

Mutter des Monats

Titel: Mutter des Monats Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gill Hornby
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Georgina auf Veränderung. Sie war so allein und überfordert mit der ganzen Situation, dass sie sich die Veränderung zwar nicht konkret vorstellen konnte, aber wusste, dass sie sie erkennen würde. Sofort. Weil dann nämlich etwas anders wäre, ganz einfach. Sie würde bei Joanna vor der Tür stehen, und es würde was Neues passieren. Joanna würde anders aussehen oder was anderes sagen. Und dieser schreckliche, elende, hoffnungslose Stillstand wäre beendet. Irgendwas käme in Bewegung.
    Sie bog in die Hauptstraße ein, die sie in Joannas Viertel bringen würde. Heute früh waren die Kinder wieder völlig überdreht – sie brachten Hamish unter viel Gelächter das Rappen bei, doch das machte ihr nichts aus. Ehrlich gesagt fand sie es sogar toll, wenn sich alle am selben Ort versammelten, im Auto, am Küchentisch oder im Ehebett am Sonntagmorgen. Wenn sie ihre Familie als Ganzes erleben und die Grenzen klar ausmachen konnte, sie in ganzer Breite, Höhe, Tiefe sah, ja, ihr Gewicht in – was lernte Kate gerade in der Schule? – genau, in Newton spürte. Wie viel Newton die Masse auf ihrer Rückbank wohl wog? Sie blickte in den Rückspiegel. Eine Menge, dachte sie zufrieden. So viel Newton, Mannomann. Für Lebenspläne und so einen Mist hatte Georgina nichts übrig, aber hätte man sie nach Sinn oder Inhalt ihres Lebens gefragt, hätte sie geantwortet, die Familie so groß, laut und stabil zu machen, wie sie konnte. Das durfte getrost auf ihrem Grabstein stehen. Mehr brauchte sie nicht.
    Wenn Georgina etwas nicht ertragen konnte, dann Stille. Joannas Weigerung, sich über ihr Privatleben auszulassen, war von erfrischend in pathologisch umgeschlagen. Sie sahen sich jeden Tag, doch ihre Kommunikation war immer oberflächlicher geworden, bis am Ende praktisch nichts mehr davon übrig geblieben war. Direkt nach der Beerdigung, als die Jungs wieder einigermaßen im Lot gewesen waren, hatte Georgina angeboten, sie morgens mit zur Schule zu nehmen. Es war klar, dass Joanna sich eine Weile in ihr Schneckenhaus verkriechen würde, aber Georgina hatte nicht erwartet, dass die Weile so lange dauern würde. Mittlerweile waren Wochen vergangen, doch Joanna steckte immer noch in ihrem Schneckenhaus. Für Georgina war es relativ unpraktisch, jeden Morgen einen Umweg zur Schule zu fahren, und je weiter das Schuljahr voranschritt, desto später war sie dran. Doch offenbar konnte sich keine von ihnen dazu durchringen, das Arrangement zu ändern, denn das hätte eine Unterhaltung erfordert – und die hatte seit Wochen nicht mehr stattgefunden.
    Sie bog in Joannas Straße ein, hielt vor dem Haus und sprang aus dem Auto. Georgina wusste, dass sie eine Mitschuld trug, denn sie war stets auf dem letzten Drücker unterwegs, als wäre sie der US -Präsident im Weißen Haus und keine Mutter mit Problemen im Zeitmanagement. Es war zum Heulen. Sie musste sich wirklich mal besser organisieren.
    »Guten Morgen zusammen.« Sie flitzte zur Hintertür, schnappte sich ein paar Schulranzen und Taschen und marschierte in Richtung Auto. »Wie geht’s? Gut geschlafen?« Öffnete den Kofferraum, pfefferte alles hinein und knallte den Deckel zu.
    »Ganz gut.«
    »Ist das dein Frühstück?«, rief Georgina, verstaute die Jungs auf den Rücksitz, schloss die Tür, setzte sich hinters Steuer und kurbelte beim Motoranlassen das Fenster herunter.
    »Ich besorge mir noch was, bevor ich zur Arbeit gehe«, rief Joanna. »Viel Spaß, Jungs!«
    Georgina gurtete sich an und setzte zum Wenden zurück in die Auffahrt. Im Rückspiegel konnte sie Joanna allein im Hof stehen sehen – als Garten konnte man das nicht bezeichnen, das war er mal gewesen –, in einer Hand hielt sie eine Tüte Gummibärchen, mit der anderen winkte sie zum Abschied. Sie sah kleiner aus, als wäre sie geschrumpft. Winzig. Mutterseelenallein.
    »Wie geht es eurer Mom heute?« Sie betrachtete die Jungs im Rückspiegel.
    »Sie hat gestern Nacht geträumt«, sagte der eine.
    »Von Dad«, fügte der andere hinzu. »Wenn sie von Dad träumt, geht es ihr hinterher nicht gut.«
    Offenbar fuhren die beiden lieber mit Georgina zur Schule, auch deshalb änderte keine der Frauen etwas daran. Während Joanna sich eifrig von allem und jedem abgrenzte, hatten ihre Söhne das Gegenteil getan – ganz instinktiv, wie es Georgina schien. Sie waren immer mittendrin, in der Schule, beim Fußball, beim Schwimmen, im Auto der Martins. Versteckten sich in der Menge. Gemeinsam war man stark. Sie wünschte, sie

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