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Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition)

Titel: Mutter, wann stirbst du endlich?: Wenn die Pflege der kranken Eltern zur Zerreißprobe wird (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rosenberg
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Zum Lachen ist mir jetzt nicht mehr zumute. Die Szenerie schlägt mir aufs Gemüt. Ein Dankeschön hätte dafür gesorgt, dass ich die Gartenarbeit gern erledige, stattdessen ernte ich nur Vorwürfe. Mit einem wahnsinnigen Tempo mähe ich weiter. Der Schweiß steht mir auf der Stirn. Der Nachbar, der über den Zaun späht, beobachtet mich verstohlen. Vermutlich fragt er sich, was in mich gefahren ist. Ich bin so sauer, dass ich jeden ummähen könnte, der sich mir jetzt in den Weg stellt. Es ist so ungerecht, denke ich mir. Egal, was ich mache, es ist nie recht. Dauernd wird geschimpft und gemeckert. Ich überlege, wie ich dieser Situation entfliehen kann. Doch mir will nichts einfallen.
    Als ich später meine Familie treffe, bin ich immer noch schlecht gelaunt. Jens und Lena müssen einiges aushalten. Ich bin wütend und ungerecht. Immer wieder kommt es zu kleinen Streitigkeiten.
    Lena bringt es auf den Punkt: »Du musst deine Laune nicht an uns auslassen!«, schimpft sie.
    Ich weiß, dass sie recht hat, weiß mir aber nicht zu helfen. Angriff ist die beste Verteidigung, denke ich, also schieße ich zurück: »Ihr hättet mir ja heute helfen können!«
    »Entschuldige«, mischt sich Jens jetzt ein. »Du wolltest doch, dass wir baden gehen. Das hast du doch heute Morgen gesagt.«
    »So? Hab ich das?«, frage ich. Jetzt muss ich aber die Kurve kriegen, schießt mir durch den Kopf. »Gut. Dann tut es mir jetzt leid«, brumme ich und gehe beleidigt ins Bett.
    Die unterschiedlichen Stresssituationen bei meinen Eltern belasten unsere Ehe mehr und mehr. Viel zu oft bin ich ungehalten, jede Kleinigkeit bringt mich auf. Zu alldem kommt der Behördenkram. Jeden dritten Tag kommt ein Schreiben, das ich beantworten muss. Eine neue Pflegestufe muss beantragt, Arztrechnungen an die unterschiedlichen Kassen müssen eingereicht werden – und nicht zu vergessen die vielfältige Korrespondenz mit den Versicherungen und Banken. Stück für Stück übernehme ich die komplette Organisation des Lebens meiner Eltern.
    Erst am vergangenen Abend habe ich Stunden damit verbracht, die Rechnungen der letzten zwei Monate bei der Krankenkasse einzureichen – was einem Spießrutenlauf glich. Jede Rechnung muss von Hand auf ein Formular übertragen werden, mit Patientennamen und Datum. Nicht selten wünsche ich mir, die Eltern wären gesetzlich versichert. Gegen diesen Verwaltungsaufwand scheint es ein Leichtes, mit der Versichertenkarte zum Arzt zu gehen und schlimmstenfalls einen Überweisungsschein zu organisieren. Noch schwieriger gestaltet sich das Zusammentragen der Daten. Ganz gleich, welche Formulare ausgefüllt werden müssen, mal braucht man die Versicherungsnummer, mal die ID -Nummer oder die Kontonummer. Da mein Vater die Dinge nach und nach an mich übergeben hat, fehlen mir viele Unterlagen, so muss ich sie erst mühsam zusammentragen. Er weiß nicht mehr genau, wo das eine oder andere liegt, oder ob er es mir vielleicht schon gegeben hat. Es gab nie eine geordnete Übergabe. Alles passiert irgendwie nebenbei im Alltag. Und da mein Leben immer mehr drunter und drüber geht, habe auch ich nicht die Möglichkeit, Struktur hineinzubringen.
    Ich sehne mich nach etwas Ruhe und Harmonie, doch daran ist nicht zu denken.
    »Hallo!«, schallt es durchs Haus. Ich kann es bis oben hören. » HAAAAALOOOOO ! Wieso kommt denn niemand?«
    Es ist nicht das erste Mal, immer wieder ruft meine Mutter. Sie wird zunehmend unruhiger und braucht noch mehr Aufmerksamkeit. Rief sie vor einigen Monaten allerdings noch freundlich um Hilfe, wird ihr Ton jetzt aggressiver.
    Ich sitze auf dem Balkon und gönne mir einen Kaffee, versuche zu ignorieren, was ich höre, als es unten plötzlich laut kracht. Nachdem es seit Monaten nur noch Ausnahmesituationen bei den Eltern gibt, würde ich am liebsten meine Ohren weiter verschließen. Dennoch beuge ich mich über die Balkonbrüstung. Ich sehe meine Mutter im Rollstuhl am Fenster sitzen. Wild fuchtelt sie mit ihren Armen.
    Als ich ihre Verzweiflung sehe, überlege ich spontan, ob ich mich jetzt einfach fallen lassen soll. Ich kann es nicht mehr ertragen. Diese wütende Frau dort unten ist doch in keiner Weise mehr meine Mutter, denke ich. Wo ist sie nur geblieben, diese lebenslustige, stets gut gelaunte Frau, die immer Zeit für uns hatte?
    Eine unglaubliche Müdigkeit übermannt mich. Das Gefühl, dass alle Bemühungen ins Leere laufen und es nicht gelingt, meinen Eltern den Lebensabend zu verschönern, macht mich

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