Muttergefuehle
bis hin zum Wochenfluss hießen sie alles sanftmütig willkommen. Selbst der Babyblues kam in diesen Büchern irgendwie niedlich weg und schien als Teil des Ganzen freudig umarmt zu werden. Mein Babyblues war eher ein Babydeathmetal, und ich habe ganz bestimmt nicht vor Freude geweint, sondern weil es mir furchtbar ging. Ich wusste nicht, wie ich das alles schaffen sollte, der Gedanke, für ein Menschenleben verantwortlich zu sein, erfüllte mich mit Panik, die schlaflosen Nächte zehrten an meiner Substanz, die mir schleierhaften Bedürfnisse meines Kindes machten mich hilflos, das sich nicht einstellen wollende Mutterglück beängstigte mich, und ich fragte mich, ob ich das alles wirklich gewollt hatte. In diesem Zustand hatte ich ein so großes Bedürfnis nach beseelten Kuschelratgebern wie danach, in einem bauchfreien Top aus dem Schiebedach einer Stretchlimousine zu winken.
Zum Glück habe ich doch noch ein Buch gefunden, das sowohl das Thema Babyblues als auch andere Reizthemen ehrlich, realistisch und entspannt abhandelt. Den »Rough Guide to Babies & Toddlers« von Kaz Cooke gibt es zwar leider nur in Englisch, aber mir hat dieses Buch besonders in schlechten Zeiten geholfen, weil hier nichts beschönigt wird und ich das erste Mal das Gefühl hatte, dass ich alles auch scheiße finden, ängstlich und überfordert sein darf, weil Wut und Verzweiflung zum Muttersein dazugehören. Das Buch hat ganze Kapitel, die »Sorgen um Neugeborene« oder »Überfordert und deprimiert« heißen, darüber hinaus stellt die Autorin wertfrei unterschiedliche Erziehungsansätze vor, und gibt weiterführende Literaturhinweise und hilfreiche Internetlinks. Sie berichtet ehrlich aus ihrem eigenen Leben und empfiehlt herrlich abgeklärt, diese ekligen Hochglanzbabymagazine voller perfekter Kinderzimmer und gesunder, rosiger Babys einfach mal zum Feuermachen zu benutzen.
Warum suche ich solche Bücher auf dem deutschen Markt vergeblich? Sind die hiesigen Ratgeber-AutorInnen allesamt sehr gut programmierte Maschinen? Spielen bei ihnen zu Hause Themen wie Überforderung, Wut oder Unglücklichsein keine Rolle? Sind sie wirklich immer so besonnen und ruhig und pädagogisch wertvoll? Meine liebste Phantasie zu diesem Thema ist folgende:
Ich hole mein Kind aus der Kita ab. Der Vater von Nina-Talida, Autor des Buches »Hineinfühlen und Weglächeln: Kindlichen Aggressionen mit Liebe begegnen«, versucht seit zehn Minuten, seiner Tochter die Jacke anzuziehen. Sie schreit ihn an, reißt an seinen Haaren, haut ihm ins Gesicht, und er kann unter den prüfenden Augen der anderen Eltern und ErzieherInnen nichts anderes machen als weglächelnd sagen »Nina-Talida, der Papi hat dich immer lieb«.
Ich würde eine mittelgroße Menge Geld darauf verwetten, dass auch dieser Vater das Bedürfnis verspürt, sich seine Tochter einfach zwischen die Beine zu klemmen und gegen deren Willen anzuziehen, um so schnell wie möglich aus dieser unangenehmen Situation zu fliehen, damit er sofort ein Buch zum Thema »Papas Wut ist auch irgendwie total okay« schreiben kann.
Die verständnisvollen Ratgeber, die ewig sanfte Eltern und besonnene Reaktionen voraussetzen, bringen mir nichts, denn wenn ich verständnisvoll und besonnen bin, brauche ich keinen Ratgeber. Ich brauche ihn, wenn ich genervt bin und wütend und überfordert. Und dann sollte mir dieser Ratgeber nicht den Tipp geben, dass ich ruhig bleiben soll, denn DAS SCHAFFE ICH NICHT, VERDAMMTE AXT!!! Ich will nicht wissen, wie ich perfekt wäre, sondern, wie ich am besten mit meiner Wut und meiner Überforderung umgehe.
Deshalb fühle ich mich auch eher gut unterhalten als beraten, wenn ich in der Buchhandlung Titel sehe wie »Die Seele fühlt von Anfang an. Wie pränatale Erfahrungen unsere Beziehungsfähigkeit prägen«, »Was mein Schreibaby mir sagen will« oder auch »Die Psyche des linkshändigen Kindes: Von der Seele, die mit den Tieren spricht«.
Warum ist eigentlich noch nie jemand auf die Idee gekommen, die Ratgeber nach Elterntypen zu sortieren? Schließlich hilft mir als eher strenger Mutter vermutlich ein anderer Rat weiter als einer Mutter mit antiautoritärem Erziehungsansatz. Wenn diese Mutter und ich nun beide auf der Suche nach, sagen wir, einem Ratgeber zum Thema Schlafen sind und diese Ratgeber entsprechend sortiert wären, zum Beispiel nach den Schlagwörtern »Streng & konsequent« und »Sanft & verständnisvoll«, dann könnte ich mir schnell »Jedes Kind kann schlafen lernen«
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