Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Muttergefuehle

Muttergefuehle

Titel: Muttergefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rike Drust
Vom Netzwerk:
schnappen, die andere Mutter vielleicht »Das DurchschlafBuch«, und wir wären beide glücklich, weil wir unkompliziert das gefunden hätten, was uns als Elterntypen entspricht. Wir könnten das Programm durchziehen und hätten so beide schnell Superschlafkinder. Stattdessen stehen wir beide vor demselben Regal, uns wird vor lauter unterschiedlichen Ratschlägen schwindelig, und am Ende wissen wir nicht mehr, was denn nun richtig ist, und gehen frustriert nach Hause, um die nächste Nacht keinen Schlaf zu bekommen.
    Weil mich diese Ratgebervielfalt in den Regalen überfordert hat, halte ich mich der Einfachheit halber an die Klassiker. Regelmäßig gelesen habe ich in Remo H. Largos »Babyjahre«, einem Standardwerk, das unemotional und grandios unniedlich beschreibt, in welchem Alter ein Kind welche Entwicklungsschritte macht. Dabei betont der erfahrene Zürcher Kinderarzt immer wieder, dass alle Kinder sich verschieden entwickeln und seine Aufzeichnungen nur als Richtlinien zu verstehen sind. Gerade weil das Buch so nüchtern geschrieben ist und eigentlich nur sagt »Wenn dein Kind soundso alt ist, kann es vielleicht das und das, muss aber nicht«, hat es mir so gut gefallen. Es hat mir Orientierungshilfe geboten und mich gleichzeitig beruhigt, wenn mein Sohn mal mit irgendeinem Entwicklungsschritt noch nicht so weit war. Und auch der nächste Klassiker in meinem Ratgeber-Regal hat sich mehr oder weniger erfolgreich das Thema Beruhigung auf die Fahnen geschrieben. An »Oje, ich wachse« haben sich schon Millionen verzweifelter Mütter festgekrallt, wenn ihr Kind komisch, schlecht gelaunt und ätzend war, denn hier können sie nachlesen, dass es sich beim Verhalten ihres Kindes nur um eine Phase handelt. Die Autoren beschreiben die zehn Sprünge in der mentalen Entwicklung während der ersten zwanzig Monate und geben quasi eine Phasengarantie: Alle Sprünge können nämlich laut dem Zeitplan der Autoren fließend ineinander übergehen, so dass sich jedes Kind immer in irgendeiner Phase befindet und die Mutter, wenn ihr Kind doof ist, immer sagen kann, »das ist ein Schub«, woraufhin die anderen Mütter verständnisvoll und wissend nicken.
    Neben der Phasengarantie gibt es in »Oje, ich wachse« auch die Phrasengarantie; unter Müttern ist der Spruch »Zurück zu Mama« ein geflügeltes Wort geworden, denn er kommt im Buch häufiger vor als »Ähm« bei Boris Becker.
    Das Beste zum Schluss: Mit »Oje, ich wachse« kann man sich prima über sein Kind lustig machen. Denn beschrieben werden nicht nur die Sprünge, sondern auch die daraus resultierenden neuen Fähigkeiten des Kindes, und dabei übertreiben die Autoren so scham- und maßlos, dass es ein großer Spaß ist, das Kind zu all diesen neu erlernten Fähigkeiten aufzufordern, die es garantiert noch nicht kann. Mein Sohn konnte, ohne Witz, NIE etwas, wozu er laut Buch in der Lage sein sollte.
    Nach dem »Kategorie-Sprung« zum Beispiel sollte er wissen, dass sowohl ein braunes, ein weißes, ein echtes und ein auf Papier gedrucktes Pferd zur Kategorie Pferd gehören, für ihn gab es allerdings allerhöchstens die Kategorie Tier, die immer, von Schaf bis Käfer, Buh! hieß und auch immer Buh! machte.
    »Oje, ich wachse« beschreibt die kindlichen Wachstumsschübe bis zu einem Alter von zirca zwanzig Monaten. Wäre das Buch weitergegangen, müsste mein Sohn jetzt, an seinem zweiten Geburtstag, wahrscheinlich ein Vogelhaus bauen, eine saure Dauerwelle machen und den Verkehr bei einem Ampelausfall regeln können. Ich bin mir zumindest ziemlich sicher, dass die Eltern, die in diesem Buch zu Wort kommen, das über ihre Kinder geschrieben hätten. Womit ich beim allerbesten Teil des Buches wäre, denn wenn in »Oje, ich wachse« Eltern von ihren Kinder berichten, wie die Eltern von Thomas (gut achtzehn Monate), bleibt kein Auge trocken:
    »Manchmal möchte er ein Weilchen allein sein. Dann sagt er ›schüs‹, setzt sich ganz allein in sein Zimmer und denkt – so vermute ich – über das Leben nach. Manchmal spielt er dabei ein bisschen. (…) Er braucht diese ›Freiräume‹ offenbar dringend.«
    Ich weiß genau, was diese Eltern meinen. Auch mein Sohn hält mir zwischendurch den Zeigefinger an die Lippen, sagt »Schhhh, sag jetzt nichts, Mama!«, stellt sich mit einem Becher Tee ans Fenster und schaut verträumt hinaus. Während er seine zarten Hände am Becher wärmt, summt er leise eine B-Seite von John Lennon und fragt sich, wie es so weit kommen konnte.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher