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Muttergefuehle

Muttergefuehle

Titel: Muttergefuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rike Drust
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niedlich und wartet mit dem Zugriff auf den besten Moment. Dann schnappt er sich das Handy, klemmt es zwischen Kopf und Schulter und ruft in ziemlich hohen Tönen »Hallo! Geht’s? Naaaaaa?«. Wie ich. GENAU wie ich.
    Er studiert mich. Er verfolgt mich mit seinen großen Augen. Mich verwirrt es sehr, wenn wir am Tisch sitzen und er mich penibelst beobachtet, um dann seine Gabel exakt so zu halten wie ich. Ich muss mich erst mal daran gewöhnen, dass ab jetzt alles gesehen und kopiert wird. Schließlich trinke ich eigentlich am liebsten aus der Flasche und rülpse gern, spiele Fußball in der Wohnung und esse mit Vorliebe vor dem Fernseher. Jetzt spielen wir zumindest meistens nur noch auf dem Flur Fußball und sitzen spätestens um halb eins bei Fischstäbchen, Spinat und Kartoffelpüree mit Getränken in Gläsern am Tisch und benehmen uns so vorbildlich, dass RTL 2 bei uns »Die Knigges – hinein in die gute Kinderstube« drehen könnte.
    Ich bin jetzt also ein Vorbild, und zwar nicht, weil ich toll singen oder das Periodensystem aufsagen kann, sondern nur, weil ich existiere. Wahnsinn! Und nach der ersten Verwirrung finde ich es meistens großartig. Zum Beispiel, weil wir bei den gemeinsamen Mahlzeiten Spaß haben und es mich stolz macht, zu beobachten, wie der Sohn konzentriert mit Besteck isst und manchmal nach dem Essen »Fertig!« sagt, sein Geschirr zusammenstellt und von sich wegschiebt. Dieses vorbildliche Verhalten muss er sich schließlich mit einer großen Wahrscheinlichkeit von mir abgeguckt haben.
    Und eigentlich ist doch durchaus produktiv, dass er mir bei den negativen Dingen den Spiegel vorhält; ohne ihn hätte ich schließlich nie erfahren, wie beknackt ich beim Meckern aussehe. Oder wie pubertär der Mann und ich uns manchmal aufführen. Vorige Woche beim Essen wippte der Mann zur Radiomusik mit dem Fuß und kam dabei immer an das Tischbein.
    Mutter: »Was machst du denn da?«
    Vater: »Ich schlage den Takt mit meinem Penis.«
    Kind: »Hähähähä. Penis.«
    Das mache ich, um ein besseres Vorbild zu sein:
    • Ich schmeiße seine dreckigen Klamotten nicht mehr vom Wickeltisch auf den Flur, weil sonst sofort Cremes, Windeln und Ähnliches hinterherfliegen. Eigentlich werfe ich außer Bällen und zwischendurch das Handtuch gar nichts mehr.
    • Ich schimpfe nicht mehr mit erhobenem Zeigefinger.
    • Ich trinke meistens aus Gläsern und denke beim Essen daran, dass jemandem am Tisch keine meiner Bewegungen entgeht.
    • Ich achte darauf, im Umgang mit anderen Menschen freundlich zu sein und immer Hallo, Tschüss, Bitte und Danke zu sagen.
    • Ich fluche weniger.
    • Ich versuche, mich zu entspannen, wenn ich mal irgendetwas ohne Vorbildcharakter mache. Wir sind eigentlich freundliche Leute, da ist, glaube ich, nicht so tragisch, wenn ich mal »Scheiße« rufe oder den Mann beim Toben haue.

DIE PARTNERSCHAFT
    Ja, ja, geh du in dein anderes Leben.
    Die Verbitterung, wenn der Partner zur Arbeit geht.
    Die ersten drei Wochen nach der Geburt waren wir noch zu dritt. Dann ging das echte Leben los, denn der Mann ging wieder Vollzeit arbeiten. Dass er erst mal der Broterwerber sein sollte, stand relativ schnell fest, weil er erstens den besser bezahlten Job hatte und zweitens keine Brüste, aus denen Milch kam. Ich selbst hatte nicht wirklich einen Plan, wie lange ich zu Hause bleiben wollte, wir hatten vereinbart, dass ich mal gucke, wie mir das exklusive Muttersein so gefällt, und dann entscheide, wie lange ich das machen möchte.
    Die ersten Tage, die der Mann morgens aus dem Haus ging, um erst abends wieder da zu sein, war ich panisch, weil mir das Kind so fremd war und ich solche Angst vor der Verantwortung hatte. Dabei lag es ja eigentlich nur rum und hat geguckt oder geschlafen. Nach ein paar Monaten setzte die Langeweile ein, und ich wurde eifersüchtig auf den Mann und sein anderes Leben. Ich war so neidisch, dass er aus der eintönigen, oft so bedrückenden Situation mit Kind herausgehen konnte und einen Ort hatte, an dem er nicht Vater, sondern er selbst war. Er hatte sein altes Leben noch. Er konnte in sein Büro gehen, wo er am Rechner sitzt, ohne dass sich seine Assistentin kreischend an sein Hosenbein hängt oder so lange mit ihren Händen auf seine Tastatur patscht, bis die wichtigsten Dateien umbenannt und/oder gelöscht sind. Er muss seine Telefonate nicht unterbrechen, um seinen Kollegen zu zwingen, die Reißzwecken wieder auszuspucken. Er kann E-Mails in einem Stück

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